Ein Weg zum gelungenen Gutachten – Teil 1

Methodischer Leitfaden zur Erarbeitung besserer Klausuren.

Datum
Rechtsgebiet Examen
Ø Lesezeit 10 Minuten
Foto: John Lockwood/unsplash.com

Eingangs sei bemerkt, dass dieser erste Teil des Beitrags (Ein Weg zum gelungenen Gutachten – Teil 2, Ein Weg zum gelungenen Gutachten – Fallbeispiele) das Rad natürlich nicht neu erfinden kann. Er soll, genauso wie seine unzähligen Mitstreiter, zur Selbstreflexion anregen, um mithilfe dieser Erkenntnisse eine bessere Klausurtechnik zu entwickeln. Damit dieses gelingt, muss man zunächst eine Vorstellung davon entwickeln, was ein gelungenes Gutachten bzw. eine gute Klausurbearbeitung im Kern auszeichnet.

Was sagen die Ausbildungsgesetze?

Wendet man sich dieser Frage systematisch zu, so geben die Ausbildungsgesetze ersten Aufschluss darüber. Unter ihrer Zuhilfenahme lassen sich die gutachterliche Aufgabenstellung und die damit verbundenen Anforderungen etwas veranschaulichen:

So darf, soweit nicht zum Pflichtfachstoff gehörende Rechtsgebiete Prüfungsgegenstand sind, kein Einzelwissen abgefragt werden, sondern lediglich methodisches Verständnis, vgl. § 11 I 2 JAG NRW. Sofern es um Pflichtfächer geht, differenziert man: Betrifft die Prüfung Fächer, die nur im Überblick zu beherrschen sind, so müssen diese nur in ihrer Systematik, wesentlichen Normen und Rechtsinstituten bekannt sein. Auf vertiefte Kenntnis von Rechtsprechung und Literatur kommt es nicht an, vgl. § 11 IV JAG NRW. Im Umkehrschluss bedeutet das für alle übrigen Pflichtfächer, dass hier die wichtigsten rechtswissenschaftlichen Diskussionsstände bekannt sein müssen. Da diese regelmäßig Prüfungsgegenstand sind, kommt es im Gutachten damit auch konkret darauf an, diese Streitstände fachgerecht darzustellen, zu diskutieren und das jeweilige Problem begründet einer vertretbaren Lösung zuzuführen.

Gelungenes Gutachten durch Schwerpunktsetzung

Bloße Wissenspräsentation ist weniger relevant. Was zählt ist die Darstellung einer methodisch sorgfältigen juristischen Arbeitsweise. Dieser Nachweis ist dann anhand der im Sachverhalt angelegten Rechtsfragen – den Schwerpunkten – entsprechend zu führen. Damit die Klausur demzufolge gelingt, muss man diese Fragen einerseits erkennen und andererseits entsprechend im Wege der Auslegung einer vertretbaren Lösung zuführen.

Konkret bedeutet dies, dass unter Rückgriff auf die Auslegungsmethoden – verstanden als Arbeit mit dem Gesetz – begründet aufgezeigt werden kann, ob der betreffende Sachverhalt mit dem ermittelten Willen des Gesetzgebers vereinbar ist. Da in der Regel nicht erwartet wird, dass man in der Bearbeitung selbstständig eine vertretbare Auslegung zu einem bereits diskutierten Problem entwickelt, entspricht es damit mehr der Aufgabe, zu den jeweiligen Auslegungsmöglichkeiten unter Rückgriff auf die Auslegungsmethoden Stellung zu beziehen. Dabei steht nicht nur die abstrakte Diskussion der Auslegungen im Vordergrund. Von Wichtigkeit ist auch, dass man die betreffende Rechtsfrage entsprechend unterschiedlich juristisch beantworten kann, was im konkreten Fall zu unterschiedlichen Lösungen führen kann.

Zeitmanagemant

Ebenso maßgeblich für ein gelungenes Gutachten ist, dass die Kompetenz des Zeitmanagements nachgewiesen wird. So wird z.T. beklagt, dass die Klausuren oft nicht in der zur Verfügung stehenden Zeit adäquat zu bearbeiten seien. Hiergegen lässt sich einwenden, dass dieses durchaus bei Verwendung einer bestimmten Stilistik gelingen kann. In der Praxis versteht man Zeitmanagement vor diesem Hintergrund als die sprachliche Kompetenz, mithilfe jener Stilistik (dazu unter II.) auszudrücken, welche Sachverhaltsaspekte – zeitlich gesehen – es wert sind, dass dementsprechend längere Ausführungen dazu erfolgen.

Verwendung des Gutachtenstils

Dass es darauf entscheidend ankommt, verdeutlicht auch die Prüferkritik, wenn bemängelt wird, dass die Kandidaten oft zu viel auf den Gutachtenstil zurückgriffen. Dieser sollte dosiert und tendenziell weniger eingesetzt werden. Die Frage ist also, wann man ihn konkret verwenden sollte. Wer darüber Klarheit gewinnt, der wird nicht nur weniger Zeit für die Bearbeitung insgesamt aufwenden. Er wird auch die Schwerpunkte der Klausur besser in den Mittelpunkt der Bearbeitung setzen können. Hieraus kann der Prüfer dann schließen, dass der Bearbeiter erkannt hat, was für die Lösung tatsächlich relevant ist. Eine zu ausführliche Bearbeitung nicht relevanter Aspekte hingegen führt dazu, dass selbst ein gut bearbeiteter Schwerpunkt im Kontrast zur übrigen Bearbeitung nicht mehr als solcher zu erkennen ist. Letzteres ist aber essentiell für eine gute Bewertung.

Struktur und Systematik

Die nachfolgenden Ausführungen sollen verdeutlichen, dass eine strukturierte und systematische Vorgehensweise die Erfolgsaussichten auf höhere Punktzahlen deutlich erhöht. Für eine gute Klausur kommt es mehr auf die Einhaltung bestimmter Grundsätze an als auf bloßes Wissen.

A. Formale Anforderungen

Die formalen Anforderungen einer gelungenen Bearbeitung sollen im Wesentlichen in einem stilgerechten Ausdruck sowie einer stimmigen Stilistik gesehen werden.

I. Juristische Sprache als Werkzeug: Fachgerechter Ausdrucksstil

Metaphorisch gesprochen: Der Ausdruck ist neben dem Gesetz das Haupthandwerkszeug des Juristen; ein Werkzeug aus dem präzisen Guss der Sprache. Wie ein guter Handwerker sein Werkzeug beherrschen muss, gilt das für den Juristen entsprechend. Um Klarheit darüber zu erlangen, welche Ausdrucksform das Gutachten formal erfordert, muss sich zunächst mit den Eigenarten der juristischen Sprache befasst werden:

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Anders als Hans Magnus Enzensberger es beschrieb, ist die juristische Sprache keine Herrschaftssprache, die ihren Sinn in der sozialen Abgrenzung oder gar Abschreckung findet. Sie ist vielmehr als funktionelle und pragmatische Ausdrucksform zu begreifen. Versucht man ihr einen Sinn zuzusprechen, dann muss dieser in der Verständlichkeit gesucht werden. Dies sei anhand der allgemeinen Urteilsfunktion verdeutlicht: So wird ein Urteil im Namen des Volkes gesprochen, vgl. § 268 I StPO, während gleichzeitiger allgemein zugänglicher Urteilsverkündung, vgl. §§ 173 ff. GVG. Damit aber auch sprachlich Geheimprozesse vermieden werden, muss das Urteil damit in der Sprache des Volkes gesprochen werden. Wäre das anders, könnte das grundsätzliche Ziel der Rechtsstaatlichkeit, die Herstellung sozialen Rechtsfriedens, nicht erreicht werden.

Verständliche Sprache

Diese Herstellung setzt damit notwendigerweise voraus, dass das Urteil in den Entscheidungsgründen klar und verständlich formuliert ist. Die Betroffenen sollen es nicht nur der möglichen Rechtsmittel wegen verstehen, sondern auch, damit durch das Verständnis Rechtsfrieden entstehen kann. Idealerweise soll die in einem Zivilprozess unterlegende Partei Einsicht in ihre den Prozess auslösende Unrechtsposition entwickeln und der obsiegenden Partei das Recht zugestehen. Kann das Urteil dieses erreichen, ist der Konflikt damit befriedet worden. Daraus kann man den Schluss ziehen, dass juristische Sprache sich durch Prinzipien wie Einfach- vor Kompliziertheit und Inhalt vor Schönheit auszeichnen sollte.

Dass das kein leichtes Unterfangen darstellt, was in dem hohen Abstraktionsgrund des Rechts selbst begründet ist, liegt dabei auf der Hand. Darin liegt aber auch der besondere Anspruch, den die juristische Sprache an den Rechtsanwender stellt: Als Sprache der öffentliche Sache muss das Recht der breiten Öffentlichkeit auch kommunizierbar sein.

Klare Formulierungen auch im Gutachten

Für das Gutachten gilt das entsprechend: Es sollte daher so transparent und klar wie möglich formuliert werden. Damit lassen sich zugleich sprachlich verursachte Missverständnisse auf Seiten des Korrektors vermeiden. Formuliert man also klar genug, so zeigt man, den Sachverhalt oder die Norm richtig verstanden zu haben. Zudem kann man durch einen kurzen wie einfacheren Ausdruck insgesamt auch wertvolle Zeit und Konzentration sparen.

Damit das im Ernstfall auch gelingt, bietet es sich an, bereits geschriebene Gutachten oder Klausuren auf das Wort-Informationsverhältnis zu untersuchen. An diesem Maßstab orientiert sind sie dann zu kürzen, ohne dabei Informationseinbußen hinzunehmen. Hierdurch erreicht man einen präziseren Ausdruck und kann mehr Selbstsicherheit ausstrahlen. Dies wiederum findet oftmals in der Benotung positiven Niederschlag.

Kurze einfache Hauptsätze führen damit eher zum Erfolg als langes juristisches Geschwurbel, verpackt im Gewande der Unverständlichkeit. Ein Korrektor, der sich nicht noch zusätzlich durch einen Sprachdschungel – auch optisch – kämpfen muss, wird dies sicher honorieren. Es kommt also darauf an die zu transportierende Information in den Mittelpunkt zu stellen. Überflüssige Füllwörter und langatmige relativierende Satzbauten sollten damit aus dem Ausdrucksrepertoire verschwinden. Denn sie verschleiern die zu transportierende Information nur.

II. Richtige Stilistik als Methode der besseren Schwerpunktsetzung

Nicht nur aus Zeitersparnisgründen, sondern auch um die Schwerpunkte gut in den Mittelpunkt der Bearbeitung zu stellen, kommt es auf die Verwendung der richtigen Stilistik an. Die Signalwörter „fraglich“ oder „problematisch“, die ausschließlich den Schwerpunkten vorbehalten sind, bekommen damit im Kontrast zur übrigen Bearbeitung eine ganz andere Ausdruckskraft. Durch den entscheidenden Wechsel zwischen Feststellungs-, verschliffenem und vollem Gutachtenstil wird nicht nur erheblich Zeit gewonnen. Hierdurch gelingt auch der Ausdruck, dass verstanden wird, welche Sachverhaltsaspekte für die Fallbearbeitung tatsächlich relevant sind.

1. Feststellungsstil

Systematisch ist die Verwendung der Stilarten von der Relevanz der zu subsumierenden Sachverhaltsinformation abhängig. Feststehend Unstrittiges ist damit festzustellen. Wenn A den B mit einem Springmesser verletzte, erübrigen sich weitschweifige Ausführungen in der Prüfung eines gefährlichen Werkzeugs i.S.d. § 224 I Nr. 2 2. Var. StGB. Es ist dann wie folgt zu formulieren:

Das von A verwendete Springmesser stellt ein gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 I Nr. 2 2. Var. StGB dar.

2. Verschliffener Gutachtenstil

Handelt es sich nicht um einen Schwerpunkt, enthält der Sachverhalt jedoch subsumtionsfähige Informationen, die etwa über die Verwendung des Springmessers hinausgehen, so sollte auf den verschliffenen Gutachtenstil zurückgegriffen werden. Dadurch kann dem Prüfer einerseits verdeutlich werden, dass die jeweilige Definition gekannt wird.

Andererseits zeigt man, sich darüber im Klaren zu sein, dass es keiner vollen Prüfung bedarf. Wohl auch vor dem Hintergrund, dass es ohne diesen Stil gar nicht möglich wäre eine Examensklausur im Strafrecht zu Ende zu bringen, sehen manche Autoren in der Verwendung auch ein wesentliches Merkmal einer gelungenen Klausur. Das stützt zugleich die Kritik, dass z.T. zu viel Gutachtenstil verwendet würde.

Ein weiterer Vorteil ist, dass dann kein Urteilsstil bemüht werden muss. Da manche Autoren die Verwendung gar für unzulässig halten, sollte man sich im Zweifel für den verschliffenen Gutachtenstil entscheiden. Dieser kommt dabei ohne die Bildung eines Ober- und Untersatzes (Definition) aus; die Subsumtion wird mit der Definition sprachlich verzahnt, besser verschliffen. Exemplarisch: Das Auto, ein fortbeweglicher Gegenstand, das im Eigentum des B stand, war für A eine fremde bewegliche Sache i.S.d. § 242 I StGB.

3. Gutachtenstil

Wie sich aus dem Gesagten ergibt, sollte der Gutachtenstil damit insbesondere in den Schwerpunkten der Klausur eingesetzt werden. Zudem wird von einer überzeichneten Verwendung, die mit dem Prüfungsaufbau in Verbindung steht, abgeraten. Wird beispielsweise die Überschrift „Tatbestand“ gebildet, so bedarf es keines besonderen Obersatzes mit dem Inhalt, dass es auf den objektiven und subjektiven Tatbestand ankäme. Gleiches gilt für den zivilrechtlichen Anspruchsaufbau. Selbstverständlichkeiten bedürfen keiner Prüfung. Zwar ist darin kein Fehler zu erkennen. Dennoch bedarf es solcher Aufbauten nicht. Insofern kommt – zumindest im Gutachten – dem Schweigen ein Erklärungswert zu.

4. Gegenüberstellender Vergleich

Um den Vorteil des verschliffenen Gutachtenstils zu betonen, soll folgendes Beispiel bemüht werden:

✱ Fallbeispiel

A schlägt B wuchtig mit einem schweren Holzknüppel gegen den Kopf, sodass dieser stark verletzt blutend zu Boden geht.

a) Gutachtenstil

Mit dem Holzknüppel könnte A ein gefährliches Werkzeug gem. § 224 I Nr. 2 2. Var. StGB verwendet haben. Unter einem gefährlichen Werkzeug versteht man jeden körperlichen Gegenstand, der nach seiner konkreten Beschaffenheit und konkreten Verwendung im Einzelfall dazu geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Die Schwere und Härte des Holzknüppels führten in Verbindung mit dem Schlag des A dazu, dass B eine schwere Kopfverletzung erlitt. Damit hat A mit dem Holzknüppel auch ein gefährliches Werkzeug gem. § 224 I Nr. 2 2. Var. StGB verwendet.

b) Verschliffener Gutachtenstil

A nutzte die Schwere und Härte des Holzknüppels beim Schlag auf B aus und verletzte diesen schwer am Kopf, sodass er damit ein gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 I Nr. 2 2. Var. StGB verwendete.

III. Fazit

Zusammenfassen lässt sich, dass die gelungene Bearbeitung einen einfachen, nüchternen wie prägnanten Ausdruck erfordert. Dieser ist zeitsparend und minimiert die Gefahr sprachlicher Missverständnisse. Ebenso wird durch den stilistischen Wechsel die Kompetenz des Zeitmanagements betont. Und man zeigt, dass zwischen der Relevanz der subsumtionsfähigen Informationen differenziert werden kann. Letztlich werden damit – und das ist maßgeblich – die Schwerpunkte in den Mittelpunkt der Bearbeitung gesetzt.

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