Staatshaftungsrecht Übersicht

System der Anspuchsgrundlagen im Staatshaftungsrecht. Ansprüche auf Realhandeln und Entschädigung, Schadensersatz, Aufwendungsersatz, Erstattung.

Datum
Rechtsgebiet Gesetzliche Schuldverhältnisse
Ø Lesezeit 18 Minuten
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Im Staatshaftungsrecht können Ansprüche aus der Staatshaftung u.a. auf Realhandeln, Schadensersatz, Entschädigung oder Aufwendungsersatz gerichtet sein.

A. Ansprüche auf staatliches Handeln (Realhandeln)

1. Abwehr- und Unterlassungsansprüche

Rechtsweg

Die Einordnung, ob ein Eingriff hoheitlich oder privatrechtlich vorgenommen wurde, erfolgt je nach Fallgestaltung. Grundsätzlich kann die modifizierte Subjektstheorie zur Bestimmung des Rechtswegs herangezogen werden. Bei Äußerungen sowie bei der Ausübung des Hausrechts ist hiernach zu untersuchen, in welcher Funktion die betreffende Person gehandelt hat. Erfolgte das Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes, so ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Wurde hingegen privatrechtlich gehandelt, so ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet. Nach a.A. ist im Rahmen des Hausrechts der Zweck des Besuchs entscheidend.

Allgemeines

Bei rechtswidrigem staatlichem Handeln, egal ob schuldhaft oder schuldlos, bestehen Abwehr- und Unterlassungsansprüche. Diese richten sich gegen Immissionen im weiteren Sinne, also gegen Geräusch- und Geruchsbelästigungen, aber auch gegen Äußerungen staatlicher Hoheitsträger. Dabei können Abwehr- und Unterlassungsansprüche auch schon im Vorfeld einer Maßnahme, also vorbeugend, geltend gemacht werden. Sie verdrängen ferner als Primärrechtsschutz die Geldersatzansprüche.

Rechtsgrundlagen sind Art. 20 III GG, die Abwehrfunktion der Grundrechte, § 1004 BGB analog sowie die gewohnheitsrechtliche Anerkennung.

Voraussetzungen sind
  • ein gegenwärtiger oder drohender Eingriff in ein subjektiv-öffentliches Recht,
  • die Rechtswidrigkeit des Eingriffs (keine Duldungspflicht wie z.B. aus § 906 BGB analog) und
  • das Andauern des Eingriffs (Abwehranspruch) bzw. das Bestehen einer Wiederholungs- (Unterlassungsanspruch) oder Erstbegehungsgefahr (vorbeugender Unterlassungsanspruch).
Beispiele:
  1. Abwehranspruch in Bezug auf
  • störende Immissionen, die von öffentlichen Einrichtungen eines Hoheitsträgers ausgehen,
  • eine lärmende Feuerwehrsirene,
  • einen Bolzplatz, Jahrmarkt oder Grillplatz als öffentliche Einrichtung, eine Straßenlaterne oder einen Kinderspielplatz (hier Funktionszusammenhang mit der bestimmungsgemäßen Nutzung).
  1. Ein Bürgermeister äußert sich in einer Rede abwertend über eine bestimmte Einrichtung/Person.

Rechtsfolge: Bei Äußerung einer falschen Tatsachenbehauptung kann ausnahmsweise ein Widerruf verlangt werden. Bei reinen Werturteilen und nicht erwiesenen Tatsachenbehauptungen hingegen sind gleichartige Äußerungen in der Zukunft zu unterlassen.

2. Folgenbeseitigungsanspruch

Rechtsweg: § 40 I 1 VwGO, Verwaltungsrechtsweg; Klageart: allgemeine Leistungsklage oder Verpflichtungsklage

Wenn staatliches Handeln zu einem rechtswidrigen Zustand geführt hat, so besteht ein Folgenbeseitigungsanspruch. Dabei ist es unerheblich, ob das Handeln rechtmäßig oder rechtswidrig war. Denn allein entscheidend ist hier das Erfolgsunrecht. Im Gegensatz zum Abwehr- und Unterlassungsanspruch, der auf die Rechtwidrigkeit der Handlung abstellt, basiert der Folgenbeseitigungsanspruch also auf der Rechtswidrigkeit der Folgen.

Der Folgenbeseitigungsanspruch ist auf die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands gerichtet.

Rechtsgrundlagen sind Art. 20 III GG und die gewohnheitsrechtliche Anerkennung. Demgegenüber sind Grundrechte hier keine geeignete Anspruchsgrundlage, da es sich dabei um Abwehrrechte gegen den Staat handelt. Die Wiederherstellung eines Zustandes ist davon mithin nicht erfasst.

Voraussetzungen sind
  • ein rechtswidriger Zustand (Erfolgsunrecht),
  • ein hoheitlicher Eingriff in ein subjektiv-öffentliches Recht,
  • das Andauern des rechtswidrigen Zustands,
  • kein Anspruchsausschluss sowie
  • ggf. ein Mitverschulden analog § 254 BGB.

Der Anspruch entfällt bei tatsächlicher oder rechtlicher Unmöglichkeit der Wiederherstellung. Bei Unzumutbarkeit der Herstellung kommt ferner ein Folgenersatzanspruch in Betracht.

Beispiele:
  • Anspruch auf Rückgabe eines Grundstücks, das zu Unrecht in eine Straßenbaumaßnahme einbezogen wurde.
  • Rückgabe einer beschlagnahmten Sache nach Aufhebung der Beschlagnahmeverfügung.

Zum Folgenersatzanspruch:

Eine Ansicht will § 251 BGB analog anwenden und Geldausgleich gewähren. Nach anderer Ansicht kann hingegen auf die Entschädigungsansprüche aus enteignendem, enteignungsgleichem und aufopferungsgleichem Eingriff sowie aus Aufopferung zurückgegriffen werden. Es besteht damit keine planwidrige Regelungslücke. Letzterer Ansicht ist aus systematischen Gründen zu folgen. Ein Folgenersatzanspruch existiert daher nicht.

Besonderheit ist der

Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch.

Rechtsweg: § 40 I 1 VwGO, Verwaltungsrechtsweg. Klageart: Leistungsklage

Hier besteht ein rechtswidriger Zustand infolge eines rechtswidrigen oder rechtmäßigen, bereits vollzogenen VA. Voraussetzung ist also, dass sich der VA bereits erledigt hat (§ 43 II VwVfG), da andernfalls ein Vorgehen mittels einer Anfechtungsklage statthaft wäre. Zur Beseitigung der Folgen des erledigten VA ist eine Leistungsklage zu erheben.

Beispiel:

Die Stadt S weist Obdachlose für zwei Wochen in die Privatwohnung des P ein. Nach Ablauf der zwei Wochen sind die Obdachlosen allerdings noch immer in der Wohnung des P.

3. Konkurrenz

Abwehr- und Unterlassungsansprüche dienen der Abwehr noch bevorstehender oder gegenwärtiger staatlicher Maßnahmen. Die Abwendung des Schadens ist zu diesem Zeitpunkt mithin noch möglich, weshalb man von Primärmaßnahmen spricht. Der Folgenbeseitigungsanspruch ist hingegen darauf gerichtet, Schäden, die durch schon erfolgtes staatliches Handeln eingetreten sind, zu beseitigen. Da es, wie man dem Nassauskiesungsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts entnehmen kann, ein „dulde und liquidiere“ im Staatshaftungsrecht nicht gibt, muss allerdings immer erst der Primärrechtsschutz ausgeschöpft werden.

B. Ansprüche auf Geldersatz im Staatshaftungsrecht

1. Schadensersatz

a) Amtshaftungsanspruch gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG

Ein Amtshaftungsanspruch setzt rechtswidriges, schuldhaftes Handeln voraus.

Voraussetzungen sind dabei:
  • Beamter im funktionalen Sinn bzw. „Jemand“
  • Handeln in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes (hoheitlich)

P: Private, die nicht Beliehene sind, führen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung aus.

Grundsätzlich wird die Rechtsnatur des Handelns mithilfe der Subjektstheorie (s.o.) ermittelt. In diesem Fall ist jedoch die Werkzeugtheorie zur Abgrenzung heranzuziehen. Hiernach erfolgt die Zuordnung des Handelns zum Privatrecht oder öffentlichen Recht je nach Grad und Intensität der Weisungsgebundenheit.

  • Verletzung einer Amtspflicht (Pflicht der Verwaltung zu rechtmäßigem Verhalten aus Art. 20 III GG)
  • Drittgerichtetheit der Amtspflicht

Die Norm, die die Amtspflicht begründet, muss gerade dem Schutz und Interesse des Anspruchsstellers dienen.

  • Verschulden
  • Kausaler Schaden
  • kein Ausschlusstatbestand gemäß § 839 III BGB
  • evtl. Mitverschulden gemäß § 254 BGB
Beispiele:
  • Ein Beamter verursacht während einer Dienstfahrt schuldhaft einen Verkehrsunfall.
  • Verletzung der Verkehrssicherungspflicht für eine Fußgängerunterführungstreppe.
  • Ein Radweg wird nicht ordnungsgemäß gereinigt, wodurch Schäden am Fahrrad eines Dritten entstehen.

b) Öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis, § 280 I BGB analog

Unter einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis versteht man eine besonders enge, öffentlich-rechtliche Beziehung zwischen einem Hoheitsträger und einem Privaten, die eine verschärfte Haftung rechtfertigt. § 280 I BGB setzt im Gegensatz zu § 839 BGB allerdings ein bereits bestehendes Schuldverhältnis voraus. Bei § 839 BGB hingegen wird gerade erst durch die Amtspflichtverletzung das Schuldverhältnis begründet. Schuldverhältnisse i.S.d. § 280 I BGB analog können durch öffentlich-rechtlichen Vertrag oder durch Gesetz begründet werden, wie z.B. GoA und BerR.

Beispiel:

Abschleppfälle (Pflichtverletzung innerhalb öffentlich-rechtlicher GoA)

Begründung der Analogie:

Planwidrige Regelungslücke: Das öffentliche Recht kennt keine dem § 280 I BGB vergleichbare Haftungsnorm für Pflichtverletzungen im Bereich öffentlich-rechtlicher Sonderbeziehungen. Der Amtshaftungsanspruch schließt § 280 I BGB auch nicht aus, da es sich dabei um einen deliktischen Anspruch handelt, der neben § 280 I BGB tritt.

Vergleichbarkeit der Fälle: Zwischen Bürger und Verwaltung muss ein gesetzliches Schuldverhältnis oder ein Vertrag bestehen. Auch im öffentlichen Recht kann es gesetzliche Schuldverhältnisse wie die GoA und das BerR oder vertragliche Schuldverhältnisse wie den öffentlich-rechtlichen Vertrag geben, die ein Bedürfnis nach einer Regelung entsprechend dem BGB begründen.

Voraussetzungen sind:
  1. Anwendbarkeit der Analogie (s.o.)
  2. öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis (GoA, BerR oder Vertrag)
  3. Pflichtverletzung
  4. Verschulden
  5. Kein Haftungsausschluss durch Satzung, ör Vertrag, VA etc.
zu 2.: Verwaltungsrechtliche Schuldverhältnisse:
a. öffentlich-rechtlicher Vertrag, § 62 S. 2 VwVfG i.V.m. § 280 I BGB analog

Rechtsweg, § 40 I 1 VwGO, Verwaltungsrechtsweg

Beispiele:
  • Eine Stadt S schließt mit einem Privaten P einen Vertrag, in welchem vereinbart wird, dass P weniger Erschließungsbeiträge zahlen muss, wenn er im Gegenzug einen Radweg für S errichtet. Der hieraufhin von P erstellte Radweg ist durchzogen von Schlaglöchern, ist also mangelhaft. Hierdurch erleidet S einen Schaden, da sie die Schlaglöcher zu beseitigen hat.
  • Die Stadt S einigt sich mit dem Privaten P auf Erschließungskosten in Höhe von 5000 Euro. Sodann schickt S grundlos einen Bescheid, in dem sie P auffordert 10.000 Euro zu zahlen. P muss dafür einen Kredit aufnehmen und Zinsen zahlen. Der Schaden beläuft sich somit auf die Zinsen.
b. öffentlich-rechtliche Verwahrung, §§ 688 ff. BGB analog i.V.m. § 280 I BGB analog

Rechtsweg, § 40 II 1 VwGO, ordentliche Gerichtsbarkeit

Beispiel:

Ein abgeschlepptes Auto wird auf dem Verwahrungsplatz umgeparkt und dabei beschädigt.

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c. öffentlich-rechtliche GoA, §§ 677 ff. BGB analog i.V.m. § 280 I BGB  analog

Rechtsweg, § 40 II 1 VwGO, ordentliche Gerichtsbarkeit

aa. AGL Staat gegen Bürger auf Schadensersatz

§§ 677, 678 BGB analog i.V.m. § 280 I BGB analog

Beispiel:

Auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge erledigt der Bürger staatliche Aufgaben, wie beispielsweise eine Kanalrohrreparatur, die er aber mangelhaft durchführt.

bb. AGL Staat gegen Bürger auf Aufwendungsersatz?
Beispiel:

Der Staat schleppt das Auto eines Bürgers ab und verlangt dafür Ersatz seiner Aufwendungen aus GoA.

Ein Anspruch auf Aufwendungsersatz scheidet hier aus, da eine öffentlich-rechtliche GoA seitens des Staats eine unzulässige Umgehung der einschlägigen Vorschriften wäre. Denn im Bereich der Eingriffsverwaltung muss stets der Gesetzesvorbehalt eingehalten werden. Geld kann daher nur verlangt werden, wenn es dafür auch eine spezielle gesetzliche Grundlage gibt.

cc. AGL Bürger gegen Staat auf Schadensersatz

§§ 677, 678 BGB analog i.V.m. § 280 I BGB analog

Beispiel:

Der Staat beschädigt das Fahrzeug eines Bürgers beim Abschleppvorgang.

dd. AGL Bürger gegen Staat auf Aufwendungsersatz aus §§ 683 S. 1, 670 BGB analog
Beispiel:

Ein Bürger repariert ein Kanalrohr einer Gemeinde und verlangt hierfür Ersatz seiner Aufwendungen.

ee. AGL Bürger gegen Staat aus landesrechtlichen Entschädigungsansprüchen

Diese Ansprüche können zusätzlich geltend gemacht werden, da sie lediglich auf eine Entschädigung in Geld gerichtet sind.

ff. Haftung bei der Anbahnung von öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnissen, §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB analog (c.i.c.)

Rechtsweg: Grundsätzlich Verwaltungsrechtsweg

Sobald ein Vertragsteil dem öffentlichen Recht zugeordnet werden kann, muss der gesamte Vertrag, auch wenn er im Übrigen dem Zivilrecht entstammt, dem öffentlichen Recht unterfallen. Die Argumentation ist die gleiche wie beim öffentlich-rechtlichen Vertrag.

Ausnahme: Der Abbruch der Vertragsverhandlungen erfüllt zugleich den Tatbestand der Amtspflichtverletzung nach § 839 BGB, Art. 34 GG. (Amtspflichtverletzung ist grundloses Abbrechen der Vertragsverhandlungen, § 241 II BGB) = ordentliche Gerichtsbarkeit, § 40 II 1 VwGO

Beispiel:

Die Stadt S will einen Vertrag mit dem Privaten P schließen. Dieser soll weniger Erschließungsbeiträge bezahlen müssen, im Gegenzug jedoch für S einen Kinderspielplatz errichten. S weigert sich sodann über die im Vorfeld getätigten Verhandlungen einen Vertrag zu schließen, da sie grundsätzlich nicht über Erschließungsbeiträge verhandelt. P hat aber bereits Baumaterial für den Kinderspielplatz gekauft.

c) Konkurrenzen

Ansprüche aus einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis analog § 280 I BGB können neben dem deliktischen Amtshaftungsanspruch geltend gemacht werden. Im Vergleich zum deliktischen Anspruch ergeben sich dabei folgende Unterschiede:

  • Gehaftet wird analog § 280 I BGB für bestehende oder angebahnte öffentlich-rechtliche Schuldverhältnisse.
  • Das Verschulden wird zugunsten des Bürgers vermutet, § 280 I 2 BGB analog.
  • Bei der Haftung für Erfüllungsgehilfen gilt § 278 BGB analog.

Vorrangig sind aber auch hier immer Ansprüche auf Folgenbeseitigung. Dem Schädiger muss wie im Zivilrecht immer erst die Möglichkeit gegeben werden, den verursachten Schaden selbst zu beseitigen (Grundsatz der Naturalrestitiution, § 249 I BGB analog). Kann oder darf der ursprüngliche Zustand hingegen nicht vollständig wiederhergestellt werden, kann dem Geschädigten eine Wiederherstellung durch den Schädiger nicht zugemutet werden oder ist eine Wiederherstellung grundsätzlich nicht möglich, so können Geldersatzansprüche geltend gemacht werden.

2. Entschädigung

a) Eingriff in wirtschaftliche Rechtsgüter

aa) Enteignung

Rechtsweg: § 40 II 1 Hs. 2 VwGO, Verwaltungsrechtsweg.

Beachte zur Höhe der Entschädigung Art. 14 III 4 GG: ordentliche Gerichtsbarkeit.

AGL: Entspricht der jeweils einschlägigen gesetzlichen Vorschrift.

Beispiel:

§§ 93 ff. BauGB

Eine gesetzliche Vorschrift ist bei einer rechtmäßigen Enteignung nach Art. 14 III GG aufgrund der Junktimklausel zwingend erforderlich. Nur bei Fehlen einer solchen Regelung ist die Enteignung rechtswidrig, was dazu führt, dass kein Geldausgleich stattfinden kann. Eine Entschädigung kann dann aber über den enteignungsgleichen Eingriff erfolgen.

bb) Ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung

Rechtsweg: § 40 I 1 VwGO, Verwaltungsrechtsweg.

Bei einer ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung kann Geldersatz gefordert werden. Es handelt sich dabei um einen Eingriff in das Eigentum, der nicht als Enteignung gekennzeichnet ist.

Ermächtigungsgrundlage für den Eingriff ist Art. 14 I 2 GG i.V.m. dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. So ist in manchen Fällen der Eingriff nämlich nur gegen Zahlung eines bestimmten Geldbetrags verhältnismäßig. Ein Anhaltspunkt dafür, dass der Anspruch auf Geld gerichtet ist, ergibt sich aus § 39 BauGB. Die Anspruchsgrundlage für die Entschädigungszahlung kann im enteignungsgleichen Eingriff nach §§ 74, 75 Einl. ALR gesehen werden.

cc) Konkurrenzen

Entschädigung und ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmungen schließen sich gegenseitig aus. Die Abgrenzung erfolgt dabei nach neuester Rechtsprechung rein formal. Die Sonderopfertheorie, die Schweretheorie und die Theorie der Situationsgebundenheit hingegen finden bei der Abgrenzung heute keine Anwendung mehr. Der Grund dafür liegt darin, dass auf der Ebene der Verhältnismäßigkeit abgewogen wird, ob der Eingriff bzw. die Beschränkung angemessen und damit für den Betroffenen zumutbar ist. Ist das nicht der Fall, so muss eine Entschädigung gezahlt werden.

Die Theorien waren in der früheren Rechtsprechung maßgeblich, da die Einstufung als Enteignung oder Inhalts- und Schrankenbestimmung bereits festlegte, ob eine Geldentschädigung gezahlt werden musste oder nicht. Die Abwägung der Interessen wurde im Folgenden in die Verhältnismäßigkeitsprüfung verlagert, weshalb es nun nicht mehr entscheidend darauf ankommt, ob eine Enteignung oder Inhalts- und Schrankenbestimmung vorliegt. Schließlich kann in beiden Fällen eine Entschädigung erfolgen.

dd) Enteignender Eingriff

Rechtsweg: § 40 II 1 VwGO, ordentliche Gerichtsbarkeit

Grundlage für Ansprüche aus enteignendem Eingriff sind §§ 74, 75 EinlPrALR.

Voraussetzungen sind:
  • rechtmäßiger unmittelbarer Eingriff in das Eigentum

Die Unmittelbarkeit ergibt sich aus einer wertenden Betrachtung. So muss der Schaden kausal auf dem Handeln des Staates beruhen und innerhalb des Risikos liegen, das durch das staatliche Handeln geschaffen wurde.

  • durch hoheitlichen Realakt
  • unmittelbare nachteilige Wirkungen für den Betroffenen (rechtswidrige Folge)
  • Sonderopfer

Wenn es sich um keine formale Enteignung handelt, aber dennoch ein Eingriff in Eigentumspositionen vorliegt, muss geprüft werden, ob der Eingriff ein Sonderopfer für den Betroffenen darstellt. Ein Sonderopfer ist dabei die Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte ohne einen sachlichen Grund bzw. ein Verstoß gegen Art. 3 GG.

Beispiel:

Es wird eine U-Bahn gebaut. Infolgedessen stürzt ein darüberliegendes Haus ein.

ee) Enteignungsgleicher Eingriff

Rechtsweg: § 40 II 1 VwGO, ordentliche Gerichtsbarkeit

Grundlage für einen Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff sind §§ 74, 75 EinlPrALR.

Zuerst wurde der enteignungsgleiche Eingriff in Analogie zu Art. 14 GG entwickelt. Nach dem Nassauskiesungsbeschluss des BVerfG war zunächst nicht klar, ob der enteignungsgleiche Eingriff überhaupt noch weiterbestehen kann. Der BGH hat an diesem Haftungsinstitut festgehalten, stellt allerdings nicht mehr auf Art. 14 GG analog als Anspruchsgrundlage ab, sondern auf §§ 74, 75 EinlPrALR. So handle es sich in Tatbestand und Rechtsfolge um einen Anspruch aus dem einfachen Recht und nicht aus dem Verfassungsrecht.

Vorrangig ist in jedem Fall der Primärrechtsschutz analog § 254 BGB, so dass erst gegen die Enteignung selbst vorgegangen werden muss. Nur bei Ausschöpfung aller Rechtsmittel kann also auf den enteignungsgleichen Eingriff zurückgegriffen werden.

Voraussetzungen sind:
  • rechtswidriger unmittelbarer Eingriff in das Eigentum
  • durch öffentlich-rechtliches Handeln
  • unmittelbarer Schadenseintritt (kein Hinzutreten weiterer Umstände – Kausalität zwischen Handeln und Schaden)
  • Sonderopfer (s.o.)
  • Ausschöpfung des Primärrechtsschutzes
Beispiel:

Bei einer Enteignung fehlt das Entschädigungsgesetz.

Beispiel für den erweiterten Anwendungsbereich:

Es ereignet sich ein Verkehrsunfall aufgrund eines einmaligen Versagens einer Verkehrsampel (Ampel zeigt grün statt rot).

P: Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff für legislatives Unrecht

Der BGH ist der Auffassung, dass eine Haftung den Rahmen eines richterrechtlich entwickelten Haftungsinstituts sprengen würde. Dies wäre mit der Haushaltsprärogative des Gesetzgebers unvereinbar und würde ferner einen Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip begründen. Nach Ansicht der Literatur kann der Rechtsgüterschutz nicht unter einen Haushaltsvorbehalt gestellt werden, zumal es für den Bürger gleichgültig ist, aus welchem Grund ein VA rechtswidrig ist. Letztlich ist aber dem BGH zu folgen, da eine unüberschaubare Flut von Klagen drohen würde und der Gesetzgeber eine entsprechende Regelung schaffen könnte, um auch das legislative Unrecht haftungsrechtlich abzudecken. Es fehlt auch generell das Bedürfnis nach einem Vorgehen gegen Gesetze, da unmittelbar gegen die darauf beruhenden Maßnahmen vorgegangen werden kann. Eine Haftung für legislatives Unrecht scheidet folglich aus.

ff) Konkurrenzen

Neben allen Ansprüchen, die auf eine Entschädigungsleistung gerichtet sind, können ferner Amtshaftungsansprüche geltend gemacht werden. Grund dafür ist, dass die Rechtsfolge der Amtshaftung Schadensersatz ist. Die Enteignung, der enteignungsgleiche und enteignende Eingriff sowie die ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung hingegen sind auf eine Entschädigung gerichtet.

Wesentlicher Unterschied der beiden Haftungsnormen ist, dass im Rahmen der Schadensersatzansprüche ein Verschulden des Anspruchsgegners Voraussetzung ist. Im Gegensatz dazu ist die Entschädigung verschuldensunabhängig, weshalb dahingehende Ansprüche auch leichter geltend gemacht werden können. Schließlich umfasst der Schadensersatz auch den entgangenen Gewinn, wohingegen die Entschädigung lediglich auf Geldausgleich gerichtet ist.

Das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen mehrerer Entschädigungsansprüche führt aber nicht zu einer Erhöhung der Entschädigung.

b) Eingriff in höchstpersönliche Rechtsgüter (Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, körperliche Bewegungsfreiheit, str. APR)

aa) Aufopferung

Rechtsweg: § 40 II 1 VwGO, ordentliche Gerichtsbarkeit

Beachte hier spezialgesetzliche Regelungen wie etwa §§ 51 ff. BSeuchG  (Impfschäden)! Vorrangig sind ebenso die Entschädigungsregelungen des Polizeiaufgabengesetzes für Nichtstörer. Zum Amtshaftungsanspruch besteht ferner Anspruchskonkurrenz.

Grundlage für den Anspruch aus Aufopferung sind §§ 74, 75 EinlPALR.

Voraussetzungen sind:
  • ein unmittelbarer (wertungsmäßige Betrachtung, s.o.) hoheitlicher rechtmäßiger Eingriff
  • in nichtvermögenswerte Rechte
  • unmittelbarer Schadenseintritt
  • Sonderopfer (gesonderte Prüfung erforderlich, s.o. Es darf sich also nicht um die Verwirklichung eines allgemeinen Lebensrisikos handeln, sondern um eine vom Staat geschaffene besondere Gefahr)
Beispiele:
  • Entschädigungsanspruch für rechtswidrige Beugehaft nach dem StrEG
  • Fürsorgepflicht der Gemeinde für Angehörige der freiwilligen Feuerwehr
bb) Aufopferungsgleicher Eingriff

Rechtsweg: § 40 II 1 VwGO, ordentliche Gerichtsbarkeit

Voraussetzungen sind:
  • rechtswidriger unmittelbarer (wertend zu ermitteln, s.o.) Eingriff in nichtvermögenswerte Positionen (schuldhaft oder schuldlos)
  • durch öffentlich-rechtliches Handeln
  • unmittelbarer Schadenseintritt (kein Hinzutreten weiterer Umstände – Kausalität zwischen Handeln und Schaden)
  • Sonderopfer
  • Ausschöpfung des Primärrechtsschutzes
cc) Konkurrenzen

Vorrangig müssen spezialgesetzliche Anspruchsgrundlagen berücksichtigt werden, so z.B. Ansprüche aus den Polizeigesetzen der Länder. Im Übrigen können Ansprüche aus Aufopferung auch neben Ansprüchen aus Enteignung oder aus Inhalts- und Schrankenbestimmung geltend gemacht werden. Dies ergibt sich dabei aus den unterschiedlichen Rechtsgüterverletzungen. Auch hier steht der Amtshaftungsanspruch ferner in Idealkonkurrenz.

3. Aufwendungsersatz

a) Öffentlich-rechtliche GoA

Rechtsweg: § 40 I 1 VwGO, Verwaltungsgerichtsbarkeit

Die GoA ist öffentlich-rechtlich, wenn der Gegenstand der Geschäftsführung öffentlich-rechtlich ist. Zur Bestimmung kann wiederum die modifizierte Subjektstheorie herangezogen werden.

AGL: §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB analog (Aufwendungsersatz)

  • Staat-Staat:

Beispiel: Die Gemeinde A repariert eine beschädigte Rohrleitung im Gemeindegebiet B.

  • Bürger-Staat:

Im Verhältnis Bürger-Staat kann der Bürger vom Staat nur dann Aufwendungsersatz nach §§ 677 ff. BGB analog verlangen, wenn ein Nothilfe- oder Dringlichkeitsfall vorliegt bzw. individuelle Rechtsgüter wie Gesundheit oder Eigentum zwingend geschützt werden müssen.

Beispiele: In der Justizbehörde J ereignet sich ein Wasserrohrbruch. Hausmeister H behebt sodann das Problem; Neuanlage eines verfallenen Deiches bei drohendem Hochwasser.

  • Privater-Privater:

seltener Fall

Beispiel: A hat die Pflicht einen Bundeswehranzug für den Einsatzfall bei sich zuhause zu verwahren. Das Haus des A brennt ab, B kann jedoch den Anzug noch rechtzeitig retten.

  • Staat-Bürger:

Unzulässigkeit aufgrund Gesetzesvorbehalt, Ausnahme im Bereich der Leistungsverwaltung

Beispiel: Behörde hat für Bürger ein polizeiliches Führungszeugnis besorgt und will dafür Aufwendungsersatz. Ein Führungszeugnis ist für die Bewilligung einer Subvention notwendig. Der Antragsteller hat aber vergessen, dieses dem Antrag beizulegen.

Im Verhältnis Staat-Bürger gelten die Regeln über die GoA allerdings nicht im Bereich der Eingriffsverwaltung im Rahmen des Aufwendungsersatzes, da insoweit die Kostengesetze die Voraussetzungen und Rechtsfolgen öffentlich-rechtlichen Tätigwerdens abschließend regeln. Auch hier darf der Grundsatz des Gesetzesvorbehalts also nicht durch die GoA umgangen werden. Schadensersatzansprüche können ungeachtet dessen nach den jeweils einschlägigen Vorschriften in Verbindung mit § 280 I BGB analog geltend gemacht werden (siehe oben). Im Übrigen ist daneben § 678 BGB analog anwendbar, der verschuldensunabhängig Schadensersatz gewährt. Voraussetzung dafür ist, dass das Geschäft nicht dem Willen des Geschäftsherrn entspricht. Im Rahmen der Leistungsverwaltung sind ferner die §§ 677 ff. BGB analog anwendbar.

Voraussetzungen sind:
  1. Anwendbarkeit
  2. Öffentlich-rechtliche Geschäftsbesorgung, § 677 BGB analog (siehe Rechtsweg)
  3. fremdes Geschäft, § 677 BGB analog
  4. Fremdgeschäftsführungswille
  5. Ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung
  6. Handeln im Interesse und im Willen der Behörde („berechtigte GoA“), § 683 S. 1 BGB analog.

4. Erstattung

a) öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch

Rechtsweg: § 40 I 1 VwGO, Verwaltungsgerichtsbarkeit

Der Erstattungsanspruch ist immer dann öffentlich-rechtlich, wenn das zugrundeliegende Rechtsverhältnis öffentlich-rechtlich ist (hier wieder modifizierte Subjektstheorie, Funktion des Handelnden, Grundlage VA). Rechtsverhältnisse können vertraglich begründet werden sowie durch VA.

AGL:  §§ 812 ff. BGB analog, gewohnheitsrechtliche Anerkennung

Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch ist ferner auf die Rückgewähr rechtsgrundloser Vermögensverschiebungen gerichtet. Kennzeichnend ist dabei allerdings nicht ein hoheitlicher Eingriff oder eine Schädigung, sondern eine Vermögensverschiebung ohne Grund. Der Unterschied zu §§ 812 ff. BGB liegt darin, dass der Anspruchsgegenstand öffentlich-rechtlich ist.

Beispiele:

Vorrangig sind aber spezielle gesetzliche Regelungen wie §§

  • 37 II AO (Erstattungen im Rahmen eines Schuldverhältnisses),
  • 49a VwVfG (Erstattungen infolge der Aufhebung eines VA),
  •  12 BBesG (Rückforderung von Beamtenbezügen – aus Beamtenrecht §§ 52 BeamVG, 53 BRRG),
  • 50 SGB X und
  • 20 BAföG.
Voraussetzungen sind:
  1. Rechtsgrundlage
  2. Anwendbarkeit
  3. Öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehung (s. Rechtsweg)
  4. Vermögensvorteil
  5. Vermögensverschiebung durch Leistung bzw. auf sonstige Weise
  6. Ohne Rechtsgrund (Wegfall, wenn das zugrundeliegende RV nichtig oder wenn der VA rechtswidrig ist)
  7. Erstattungsumfang/Wegfall der Bereicherung (Beachte aber: Die Behörde kann sich wegen des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung aus Art. 20 III GG nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen.)
Merkhilfe für die Rechtswegbestimmung:
  • Aufwendungsersatzansprüche zu den Verwaltungsgerichten
  • Schadensersatzansprüche zu den ordentlichen Gerichten (§ 40 II 1 VwGO)
  • Entschädigungsansprüche mit Ausnahme der Inhalts- und Schrankenbestimmung = ordentliche Gerichte

Anmerkungen

Näheres zur verfassungsrechtlichen Bedeutung des Eigentums: Das Eigentum Art. 14 I 1 GG

siehe auch: „Klausur zur Berufsfreiheit

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