Der Urteilsstil im Referendariat

Der Urteilsstil. Nach dem Ersten Staatsexamen heißt es Abschied nehmen vom Gutachtenstil. Im Referendariat müssen Klausuren im Urteilsstil geschrieben werden. Worin liegt der Unterschied und wie geht man am besten vor?

Datum
Rechtsgebiet Rechtsreferendariat
Ø Lesezeit 8 Minuten
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Das Referendariat hält schon am Anfang eine erste Hürde bereit, die es leider in einer sehr kurzen Zeit zu überbrücken gilt. Denn die ersten Probeklausuren lassen nicht lange auf sich warten. Und diese sind anders als im Studium nun im Urteilsstil zu fertigen. Aus diesem Grund ist es ratsam, sich schnellstmöglich von dem jahrelang eingetrichterten Gutachtenstil zu lösen und mit einem frischen Kopf, frei von gutachterlichen Zwängen das Referendariat zu beginnen.

Das Schwierigste ist es, vor allem für diejenigen, die keine Fans des Gliederns sind, sich nun vor Beginn jeder Klausur eine grobe Gliederung zu machen. Dies ist unausweichlich, da schon zu Beginn des Schreibens klar sein muss, in welche Richtung die Klausur geht. Das Wichtigste am Urteilsstil ist, das Ergebnis des jeweiligen Prüfungspunktes stets voranzustellen. Alternativ ist es auch möglich „etappenweise“ zu gliedern und am Anfang der Begründung einfach ein paar Zeilen frei zu lassen und erst am Ende der Klausur das Gesamtergebnis einzufügen. Allerdings besteht hierbei natürlich das Risiko, dass man es vergisst.

Unterschiede zwischen Erster und Zweiter Juristischer Staatsprüfung

In der Ersten Juristischen Staatsprüfung liegen die Hauptprobleme der Klausuren meist auf bekannten Rechtsfragen. In der Zweiten Juristischen Staatsprüfung kommt es jedoch darauf an innerhalb von kurzer Zeit detailreiche Aktenauszüge argumentativ auszuwerten. Es muss sich für ein Ergebnis entschieden werden und gegebenenfalls unter zu Hilfenahme der Kommentare eine überzeugende Begründung erfolgen. Der Urteilsstil hilft daher beim Niederschreiben möglichst fokussiert den roten Faden der Klausurlösung wiederzugeben. Das bedeutet, dass eine kurze prägnante Lösung über weniger Seiten durchaus die bessere Lösung sein kann. Es lohnt sich daher den Urteilsstil gut zu trainieren, da er in der Examenssituation wertvolle Zeitvorteile liefert.

Ergebnis argumentativ begründen

Das Wichtigste an einer Klausur in der Zweiten Juristischen Staatsprüfung ist es, keine Zweifel daran zu lassen, dass das, für was man sich als Lösung entscheidet, in dieser Weise auch stimmt. Sprich, es gibt hier keinen Konjunktiv mehr. „Hätte“, „müsste“, „könnte“, „würde“ sind vorbei und werden durch „weil“, „da“, „denn“, „nämlich“ ersetzt. Ebenso sollten Wörter wie „somit“, „deshalb“, „daher“, „demzufolge“, „mithin“, „folglich“ vermieden werden. Nun gilt es mit dem nötigen Selbstvertrauen seine Ansätze und Meinungen zu vertreten. Der Urteilsstil zwingt einen sozusagen zum Argumentieren. Gerade in der Zweiten Juristischen Staatsprüfung werden vor allem gute Argumente und ein korrekt strukturierter Aufbau stets honoriert.

Der Urteilsstil ist daher nicht nur das Ankommen in der Praxis, sondern auch eine Chance seine Gedanken und sein Wissen zu strukturieren und damit Notenverbesserungen zu erreichen. Das Gerücht, dass die Ergebnisse der Zweiten Juristischen Staatsprüfung stets schlechter ausfallen als die der Ersten Juristischen Staatsprüfung stimmt daher nicht unweigerlich.

Anwendung und Beispiele des Urteilsstils

  • Unproblematische Stellen in der Klausur

Der Urteilsstil ist auch hinsichtlich unproblematischer Stellen in der Klausur eine dankbare Änderung zum Gutachtenstil, weil hierdurch nunmehr unnötige Ausführungen und Wiederholungen vermieden werden können.

Beispiel:

Gutachtenstil: A könnte gegen B einen Anspruch aus § 823 BGB haben. Dazu müsste B die Beschädigung der Sache zu vertreten haben. Vertretenmüssen setzt gemäß § 276 II BGB zumindest Fahrlässigkeit voraus, welches das außer Acht lassen der im Verkehr erforderliche Sorgfalt ist. B hat jedoch umsichtig gehandelt, womit kein Vertretenmüssen vorliegt.

 Urteilsstil: Ein Anspruch des A gegen B kommt nicht in Betracht, weil er sein Verhalten nicht gemäß § 276 II BGB zu vertreten hat.

  •  Urteilsklausur allgemein

Nach der traditionellen Struktur für den Aufbau juristischer Argumentationen im Urteil wird zuerst das Ergebnis in einem Obersatz dargestellt. Daraufhin folgt die Definition des rechtlichen Maßstabs und in einem dritten Schritt wird dieser auf den konkreten Sachverhalt angewandt in Form der Subsumtion. Hier seht ihr, dass es im Endeffekt kein Hexenwerk ist den Gutachtenstil in den Urteilsstil umzuwandeln, da ihr das Grundmuster bereits aus der Ersten Juristischen Staatsprüfung kennt. Also lasst euch nicht verunsichern, nur weil ihr jetzt im Urteilsstil schreiben sollt. Das Herangehen an die Klausur bleibt gleich. Es müssen gedanklich immer die einzelnen Schritte, Norm, Definition, Zwischenergebnis und Subsumtion durchgearbeitet werden, damit nicht in den bloßen Erzählstil abgewichen wird. Es ist daher ratsam immer nach dem Nennen der Norm die Definition als Wiedergabe des Gesetzeswortlauts zu formulieren. Dies vereinfacht den Start in die jeweilige Argumentation.

Beispiel:

Dem Kläger steht der Anspruch aus § 894 BGB zu. (Obersatz)

Nach dieser Norm kann unter anderem derjenige, der durch eine nicht bestehende Belastung im Grundbuch beeinträchtigt ist, im Falle der Unrichtigkeit des Grundbuchs von demjenigen die Zustimmung zur Berichtigung verlangen, dessen Recht dadurch betroffen ist. (Definition)

Die Voraussetzungen sind gegeben. (Zwischenergebnis)

 Diese Art der Darstellung ist immer dann anzuwenden, wenn daraufhin eine aufwendige Subsumtion folgt. Dies erleichtert es ungemein, seine Gedanken schon vorab zu ordnen und die Subsumtion mit der richtigen Reihenfolge entsprechend übersichtig für den Korrektor aufzubauen.

Auch prüft Ihr weiterhin die einschlägigen Normen Schritt für Schritt durch. Nur erklärt Ihr nicht mehr jeden Schritt so ausführlich wie im Gutachtenstil, sondern lehnt nicht Einschlägiges kurz ab und erläutert Einschlägiges entsprechend.

Beispiel:

Die Klage ist begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf Schadensersatz nach § 823 BGB (Gesamtergebnis), weil der Beklagte vorsätzlich das Eigentum verletzt hat…. (Definition)

Die Voraussetzungen liegen vor. (Zwischenergebnis)

Die Rechtsgutverletzung wurde durch positives Tun/pflichtwidriges Unterlassen verursacht etc……..(Subsumtion)

Einleitende Ergebnissätze

Es ist sehr wichtig, beim Einstieg in die Entscheidungsgründe die Begründetheit und die Schwerpunkte der Klausur jeweils mit Ergebnissätzen einzuleiten.

Die Entscheidungsgründe sind gemäß § 313 III ZPO „Eine kurze Zusammenfassung der Erwägungen, auf denen die Entscheidung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht beruht.“ Sie sind entsprechend im Urteilsstil zu verfassen. Dies bedeutet, dass alle Ausführungen, die für das Urteil letztlich bedeutungslos sind, anders als im Gutachtenstil, strikt falsch sind. Anspruchsgrundlagen, die gegebenenfalls ebenfalls einschlägig sind, werden nicht im Urteil erwähnt. Das unnötige Auflisten von nicht einschlägigen Anspruchsgrundlagen erweckt den Eindruck von Nichtwissen bezüglich des eigentlich einschlägigen Anspruchs. Dies ist der womöglich größte Unterschied zum Gutachtenstil. Das seitenlange Schreiben über eine Anspruchsgrundlage, deren letzte Voraussetzung dann doch nicht vorliegt, ist nun falsch. Bei Unbegründetheit der Klage sind hingegen alle Anspruchsgrundlagen darzustellen.

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Umsetzung des Urteilsstils in den Entscheidungsgründen

  1. Zu Beginn der Entscheidungsgründe wird in einem Satz das Ergebnis des kompletten Rechtsstreits zusammengefasst.
Beispiel:

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Argumentation muss immer die vorangegangene Aussage und den Tenor stützen.

Beispiel:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Es kann dahinstehen, ob dem Anspruch die Einrede der Verjährung entgegensteht, weil er jedenfalls verwirkt ist. Verwirkung ist ….

Gedanklich sollte man sich immer die Frage nach dem Grund der vorausgegangenen Aussage stellen und diese sodann mit „weil, …“ beantworten. Es hilft sich dabei vorzustellen, in kleinen Schritten vorzugehen und dem Mandanten, der keinerlei juristische Kenntnisse besitzt, jede einzelne Frage zu beantworten. Dies bedeutet, dass sobald eine Norm genannt wird, auch erklärt werden muss, was diese besagt und warum diese nun vorliegen soll. Rechtsbegriffe sollten erklärt werden. Sobald abweichende Tatsachengrundlagen genannt werden, sollte erklärt werden wie das Gericht zu diesen gelangt ist. Wenn es um die Beweisaufnahme geht ist wichtig zu erklären, was diese ergeben hat und warum das Gericht Zeugen A und nicht der Aussage des Zeugen B gefolgt ist. Was bedeutet eine teleologische Reduktion oder die analoge Anwendung einer Vorschrift im vorliegenden Fall.

  1. Es folgen nun prozessrechtliche Erwägungen wie beispielsweise die Zulässigkeit von Einspruch gegen das Versäumnisurteil etc.
  2. Danach folgen Ausführungen zur Zulässigkeit der Klage. Die Entscheidungsgründe enden bei Unzulässigkeit der Klage mit deren Feststellung.
  3. Die Begründetheitsprüfung erfolgt dann nach dem oben angegebenen Beispiel nach dem Schema: Gesamtergebnis mit Norm, Definition der Norm, Zwischenergebnis, Subsumtion
  4. Bei Nebenentscheidungen wie beispielsweise Kosten, genügt in der Regel das Zitat der einschlägigen Norm. Hier ist keine Definition oder Subsumtion nötig. Einen guten Urteilsstil erkennt man daran, dass der Verfasser die richtige Balance zwischen Einhaltung der traditionellen Struktur für den Aufbau juristischer Argumentationen und der vereinfachten Darstellung findet.
Beispiel:

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO.

  1. Wichtig ist zudem, dass in den Entscheidungsgründen kein Satz vorkommt, der auch im Tatbestand so formuliert stehen könnte.

Beispiel:

Der Kläger hat den Beklagten am 1.1.2018 zur Zahlung von 100 Euro aufgefordert.(Falsch-Dies ist keine rechtliche Würdigung)

Durch die Aufforderung des Klägers vom 1.1.2018 100 Euro zu zahlen, ist der Beklagte in Verzug geraten. (Richtig)

  1. Eine weitere Fehlerstelle bietet das zu intensive Eingehen auf die Argumentation des Unterlegenen, weil die Darstellung davon und die entsprechende Verneinung nicht zur Aussage des § 313 III ZPO passt. Das Urteil beruht schließlich nicht auf der Aussage des Unterlegenen. Hier kann man sich auch an den Gerichten orientieren, die als Einstieg in den Schwerpunkt der Fälle auch mit Teilergebnissätzen arbeiten. Dies dient nicht nur dazu die Problematik nochmals hervorzuheben, sondern hilft auch zusätzlich zur eigenen Orientierung und der des Korrektors.

Es ist daher ratsam sich gerade in den ersten Wochen des Referendariats Urteile aus der Praxis, sowie alte Examensklausurlösungen immer wieder durchzulesen, um alte Gewohnheiten des Gutachtenstils endgültig loszuwerden und zu sehen wie beispielsweise in die argumentativen Abschnitte der Fälle übergeleitet wird.

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