Strafrecht BT Basics Prüfschema Nötigung

Hilfen zur Formulierung der Zwischenprüfungsklausur und Abschlussklausur im Strafrecht mit dem Thema Nötigung

Datum
Rechtsgebiet Strafrecht
Ø Lesezeit 11 Minuten
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Im Folgenden wird ein generelles Prüfschema zum Straftatbestand der Nötigung nach § 240 I StGB vorgestellt. Zur Verdeutlichung wurde dem Prüfschema ein Fall vorangestellt. Das Schema enthält Formulierungen, welche man für die Klausur in der Zwischenprüfung übernehmen kann. Der Fallbezug ist jeweils unter jede Definition subsumiert. Definitionsteile sowie Subsumtionsteile sind jeweils durch Absätze voneinander getrennt worden. An einigen Stellen wurden zum Verständnis Anmerkungen eingefügt, welche nicht zum Prüfschema gehören, sondern nur als Erklärung dienen sollen. In den Anmerkungen wurde gleichzeitig eingefügt, welche Rechtsinstitute des Allgemeinen Teils des StGB an dem jeweiligen Prüfpunkt der Nötigung eingebaut werden können. Die Meinungsstreite an den einzelnen Tatbestandsmerkmalen sind so dargestellt, dass sie auf jeden denkbaren Fall angewendet werden und in der Kürze der Klausurzeit schnell und übersichtlich hingeschrieben werden können.

Fall

Der Prokurist B fährt dem arbeitslosen Ingenieur A in angetrunkenem Zustand schuldhaft in dessen Auto und beschädigt es. Der A kennt den B und weiß, dass B auch die Entscheidungsbefugnis über die Einstellung von Ingenieuren in dessen Firma hat. A weiß auch, dass die offizielle Kenntnis über den Zustand des B bei dem Unfall in der Firma des B zu dessen Entlassung führen kann. A droht dem B daher mit dem Rufen der Polizei, wenn dieser ihm keinen Arbeitsplatz in dessen Firma besorgt. B fürchtet um seinen Arbeitsplatz, falls die Polizei den Unfall aufnehmen sollte und erklärt sich dem A gegenüber einverstanden und stellt den A als Ingenieur ein. Strafbarkeit des A nach § 240 I StGB ?

Lösung

A könnte sich durch das Drohen mit dem Rufen der Polizei nach § 240 I StGB strafbar gemacht haben.

I. Tatbestandsmäßigkeit

1.Objektiver Tatbestand

A müßte durch Gewalt oder Drohen mit einem empfindlichen Übel einen Nötigungserfolg in Form einer Handlung, Duldung oder Unterlassung erzielt haben, wobei die Tathandlung für den Erfolg kausal gewesen sein muß.

a.) Nötigungshandlung

Als Nötigungshandlung kommt die Anwendung von Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel in Betracht.

aa.) Nötigung mit Gewalt

A könnte Gewalt angewendet haben. Der Gewaltbegriff im Rahmen der Nötigung ist umstritten. Er kann eng oder weit ausgelegt werden.

( a) In der weiten Auslegung ist der Gewaltbegriff bereits erfüllt, wenn das Nötigungsopfer in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt wird, es sich demnach subjektiv zu einem bestimmten Verhalten veranlasst fühlt. In diesem Fall liegt eine sog. psychische Gewalteinwirkung oder vis compulsiva vor. Eine körperliche Kraftentfaltung des Täters ist nicht notwendig.

Fraglich ist, ob unter Anwendung des weiten Gewaltbegriffes der A Gewalt angewendet hat. Durch die Drohung mit dem Rufen der Polizei fühlte sich B dazu veranlasst, dem A einen Job zu besorgen. Unter Anwendung des weiten Gewaltbegriffes hätte A mit dem Aussprechen seiner Drohung Gewalt angewendet.

(b) Nach dem engen Gewaltbegriff würde Gewalt indes nur dann vorliegen, wenn eine physische Einwirkung in Form von körperlichem Zwang auf das Opfer vorliegen würde. Nach dem engen Gewaltbegriff würde Gewalt nur dann vorliegen, wenn das Nötigungsopfer tatsächlich körperlich beeinträchtigt wird, demnach vis absoluta vorliegt. Dazu ist ebenfalls eine körperliche Kraftentfaltung des Täters nötig.

Unter Anwendung des engen Gewaltbegriffes hat A keine Gewalt angewendet.

(c) Da beide Gewaltbegriffe im vorliegenden Fall zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ist der Streit zu entscheiden.

Fraglich ist. welchem Gewaltbegriff zu folgen ist. Gegen den weiten Gewaltbegriff spricht der Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht nach Art.103 II GG, wonach die Straftatbestände hinreichend bestimmt formuliert sein müssen, damit das mit Strafe bedrohte Verhalten für jedermann klar erkennbar ist. Damit ist der weite Gewaltbegriff wegen Verstoßes gegen Art. 103 II GG abzulehnen, wie es auch das BVerfG festgestellt hat und das Tatbestandsmerkmal der Gewalt liegt nur dann vor, wenn physisch auf das Opfer eingewirkt wird und der Täter Kraft entfaltet. Der BGH läßt insofern noch psychischen Zwang zu, soweit dieser sich körperlich, also physisch auf das Opfer auswirkt, etwa in Gestalt der Errichtung eines Hindernisses in Form eines gebremsten Autos oder eines angeketteten Demonstranten. Insoweit besteht nach dem BGH bei einer Sitzblockade die Gewaltanwendung zumindest für das zweite Fahrzeug in dem physischen Hindernis durch das gestoppte erste Fahrzeug (sog. „zweite Reihe“ Rechtsprechung des BGH). Der BGH rechtfertigt die Zulässigkeit der psychischen Gewalt damit dadurch, dass diese ja nur zulässig sei, wenn der Täter mittelbar Gewalt angewendet hat durch die Schaffung eines physischen Hindernisses und somit die psychische Gewalt ja eine Unterart der physischen Gewalt sei. Indes versucht der BGH durch diese Konstruktion letztlich den weiten Gewaltbegriff wieder einzuführen. Aufgrund der Gefahr der Umgehung des Art.103 II GG und der Rechtsprechung des BVerfG ist die Zulässigkeit der auf einem physischem Hindernis beruhenden psychischen Gewalt abzulehnen.

Unter Anwendung des hier zu folgenden engen Gewaltbegriffes hat A mit seiner Ankündigung nicht Gewalt angewendet.

Anmerkung zum Gewaltbegriff:

Die Frage, ob die lediglich psychische Einwirkung auf das Opfer den Tatbestand der Gewalt erfüllt ergibt sich meistens erst, wenn man das Vorliegen einer Drohung verneint hat. So können Sitzblockaden nur dann den Tatbestand der Nötigung erfüllen, wenn dem weiten Gewaltbegriff gefolgt wird, da die Demonstranten ja keine Drohung aussprechen. Im Interesse eines vollständigen und stringenten Prüfschemas wurde der Meinungsstreit über den Gewaltbegriff hier vor der Prüfung des Tatbestandsmerkmales der „Drohung mit einem empfindlichen Übel“ durchgeführt.

bb.) Drohung mit einem empfindlichen Übel

A könnte durch die Ankündigung, die Polizei zu rufen, mit einem empfindlichen Übel gedroht haben.

(a) Unter Drohung versteht man jedes Verhalten, auf dessen Eintritt der Täter vorgibt Einfluß zu haben. Dieses ist von der Warnung abzugrenzen, welche auf ein Ereignis hinweist, auf dessen Eintritt der Warnende keinen Einfluß hat.

(b) Unter einem empflindlichen Übel versteht man einen Wertverlust, der aufgrund seines Umfanges dazu geeignet erscheint, das Verhalten des Opfers zu bestimmen.

Durch die Ankündigung des A, dass er die Polizei rufen werde, besteht die Gefahr, dass B seinen Job verliert. Damit droht dem B ein Wertverlust größeren Ausmaßes und der A hat mit einem empfindlichen Übel gedroht.

cc.) Nötigungserfolg

Die Nötigung ist erst vollendet, wenn das Opfer die mit dem Nötigungsmittel bezweckte Handlung, Duldung oder Unterlassung vorgenommen hat. Der Nötigungserfolg besteht darin, dass B dem A einen Job besorgt.

Anmerkung:

Wenn der vom Täter bezweckte Nötigungserfolg nicht eintritt, dann wird die Prüfung an dieser Stelle abgebrochen und es bleibt eine versuchte Nötigung nach dem Versuchsaufbau zu prüfen.

dd.) Kausalität zwischen Nötigungshandlung und Nötigungserfolg

Das Drohen mit dem Rufen der Polizei war nach der Äquivalenztheorie auch ursächlich dafür, dass der B dem A den Job besorgt hat.

Im Ergebnis ist der objektive Tatbestand des § 240 I StGB erfüllt.

2. Subjektiver Tatbestand

A müßte Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale gehabt haben. Dies war der Fall.

Damit ist der Tatbestand des § 240 I StGB erfüllt.

Anmerkungen:

An dieser Stelle wird auch geprüft, ob eventuell ein Tatbestandsirrtum, ein error in persona oder ein aberratio ictus vorliegt. Diese Rechtsinstitute würden jeweils nach § 16 I StGB den Vorsatz entfallen lassen.

II. Rechtswidrigkeit

Weiterhin müßte A rechtswidrig gehandelt haben.

Auf der Ebene der Rechtswidrigkeit sind zwei Punkte zu prüfen. Zum einen ist zu prüfen, ob nach dem BGB oder dem StGB anerkannte Rechtfertigungsgründe die Rechtswidrigkeit ausschließen. Auch Art.5 GG sowie Art.8 GG können nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung als Rechtfertigungsgründe in Frage kommen. Zum anderen ist zu prüfen, ob die Tathandlung verwerflich im Sinne des § 240 II StGB war. Sollten keine Rechtfertigungsgründe eingreifen so wäre die Nötigungshandlung im Gegensatz zu den anderen Straftatbeständen erst dann rechtswidrig, wenn die Verwerflichkeit der Tathandlung feststeht. Bei § 240 I StGB handelt es sich somit um einen „offenen Straftatbestand“, bei dem die Rechtswidrigkeit nicht durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert wird.

1.Vorliegen von Rechtfertigungsgründen

Liegen Rechtfertigungsgründe tatbestandlich vor, so ist die Rechtswidrigkeit schon an dieser Stelle ausgeschlossen und eine weitere Prüfung der Verwerflichkeit nach § 240 II muß nicht mehr erfolgen. Rechtfertigungsgründe sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.

2.Verwerflichkeit i S des § 240 II StGB

Da die bisherige Prüfung ergeben hat, dass keine Rechtfertigungsgründe vorliegen, muß weiter die Verwerflichkeit nach § 240 II StGB geprüft werden.

Verwerflich ist die Nötigungshandlung, wenn das Mittel der Nötigung verwerflich ist, oder der Erfolg oder das Verhältnis zwischen Mittel und Erfolg, sogenannte Verwerflichkeit der Mittel-Zweck Relation.

a.) Das Mittel der Nötigungshandlung ist verwerflich, wenn es rechtlich verboten oder sittlich anstößig ist.

Das Mittel der Nötigungshandlung besteht darin, dass A die Polizei rufen will. Diese Handlung ist nicht verboten und damit als solche nicht verwerflich.

b.) Der Erfolg ist verwerflich, wenn der Erfolg rechtlich verboten oder sittlich anstößig ist.

Der von A erstrebte Erfolg besteht darin, dass B ihm einen Job besorgt. Diese Handlung ist als solche rechtlich zulässig und damit nicht verwerflich.

c.) Allerdings könnte die Relation zwischen Mittel und Zweck verwerflich sein. Das Verhältnis zwischen Nötigungsmittel und Nötigungserfolg ist dann verwerflich, wenn der Einsatz eines Mittels zur Erreichung des Zwecks unerlaubt oder sittlich verwerflich ist.

Das Drohen mit dem Rufen der Polizei soll dem A dazu dienen, den Genötigten B zu einer Handlung zu bewegen, welche nicht vom Zuständigkeitsbereich der Polizei abgedeckt ist. Damit wird von dem A ein nicht rechtmäßiger Einsatz der Polizei angestrebt. Damit ist die Relation zwischen dem Einsatz des Mittels zur Erreichung des angestrebten Zwecks als verwerflich anzusehen.

Damit hat A auch rechtswidrig gehandelt.

Anmerkungen zum Verständnis:

Von der Prüfungsfolge her prüft man zuerst die Verwerflichkeit des Mittels. Ist dieses bereits verwerflich, so liegt § 240 II StGB vor und die Rechtswidrigkeit ist zu bejahen. Verneint man die Verwerflichkeit des Mittels prüft man die Verwerflichkeit des Nötigungserfolges. Bejaht man diesen, so liegt Rechtswidrigkeit vor. Verneint man das Vorliegen der Verwerflichkeit des Nötigungserfolges, so muß das Verhältnis zwischen Mittel und Erfolg geprüft werden. Das Besondere an diesem Prüfungsschritt besteht jetzt darin, dass sowohl Mittel als auch Erfolg nicht verwerflich waren und erst im Verhältnis zueinander jetzt verwerflich werden können. So ist zB. das Rufen der Polizei für den Fall, dass jemand seine Anschrift bei einem Unfall nicht herausgibt, ein nicht verwerfliches Mittel. Der Erfolg, zu dem dieses Mittel führen soll, nämlich das der Unfallbeteiligte seine Anschrift herausgibt, ist als solches auch nicht verwerflich. Das Verhältnis zwischen Rufen der Polizei zum Zwecke der Halterfeststellung ist auch nicht verwerflich. Wenn der Nötigende nach einem Unfall mit dem Rufen der Polizei droht, wenn das Nötigungsopfer ihm keinen Arbeitsplatz verschafft, so könnte in diesem Fall die Mittel-Zweck Relation indes verwerflich sein. Das Mittel, Rufen der Polizei, ist als solches nicht verwerflich, da es rechtlich zulässig ist bei Unfällen die Polizei zu rufen. Der Zweck, den der Täter mit dem Rufen der Polizei verfolgt, nämlich das das Opfer ihm einen Job verschafft, ist als solches isoliert betrachtet auch nicht verwerflich. Fraglich ist, ob man jemanden mit dem Rufen der Polizei drohen darf, wenn der Betreffende dem Drohenden keinen Job verschafft. Der Zweck besteht in diesem Fall nicht darin, daß Mittel zweckentsprechend einzusetzen, da es dem Nötigenden in diesem Fall nicht darauf ankommt, dass die Polizei im Rahmen ihrer Zuständigkeit tätig wird. Damit wird ein nicht rechtmäßiger Einsatz des Mittels angestrebt. Dies führt dazu, dass der Einsatz des Mittels im Verhältnis zum angestrebten Zweck verwerflich ist. Damit liegt Verwerflichkeit im Sinne des § 240 II StGB vor und

III. Schuld

A hat auch schuldhaft gehandelt.

Damit hat sich A einer Nötigung nach § 240 I StGB strafbar gemacht.

Anmerkung:

Bei der Schuld kann der Erlaubnistatbestandsirrtum geprüft werden, welcher die Schuld ausschließen könnte, wenn entsprechende Anhaltspunkte im Sachverhalt vorliegen.

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IV. Strafzumessung

Besonders schwerer Fall gem. § 240 IV StGB

§ 240 IV Nr.1 StGB

§ 240 IV Nr.2 StGB

Ein besonders schwerer Fall nach § 240 IV StGB liegt nicht vor.

Anmerkungen

Zu dem Thema dieses Artikels und  auch zum Strafrecht Allgemeiner sowie Besonderer Teil kann ein vertiefender Crashkurs gebucht werden oder ein Coaching im Repetitorium stattfinden.

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