Sofortige Vollziehung eines VA

Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes nach § 80 Abs.2 Nr.4 VwGO. Prüfschemata und Aufbauschemata für ÖR-Klausur und -Hausarbeit.

Datum
Rechtsgebiet Öffentliches Recht
Ø Lesezeit 10 Minuten
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Die sofortige Vollziehung von Verwaltungsakten bereitet den Studierenden in Klausuren und Hausarbeiten Probleme sowohl beim Aufbau als auch beim Verständnis und bei der Erstellung eines Prüfschemas. Insbesondere die Abgrenzung zum Sofortvollzug und zur unmittelbaren Ausführung ist nicht immer klar. Dieser Beitrag versucht Abhilfe zu schaffen.

A. Was versteht man unter „sofortiger Vollziehung“ ?

Erst einmal ist zu klären, was unter „sofortiger Vollziehung“ zu verstehen ist.

1. Wirksamer Verwaltungsakt als Voraussetzung

Die sofortige Vollziehung setzt einen wirksamen Verwaltungsakt (VA) i.S.d. § 35 VwVfG voraus. Sie betrifft die Wirkung von Rechtsbehelfen gegen wirksam erlassene Verwaltungsakte.

2. Grundsätzlich aufschiebende Wirkung von Verwaltungsakten

Grundsätzlich haben Widerspruch und Anfechtungsklage gem. § 80 I S.1 VwGO gegenüber einem VA eine aufschiebende Wirkung. Damit ist gemeint, dass die den VA erlassende Behörde diesen nicht vollziehen kann, solange über den vom Adressaten eingelegten Rechtsbehelf nicht entschieden wurde. Mit Hilfe der nach § 80 I S.1 VwGO gesetzlich angeordneten aufschiebenden Wirkung von gegenüber einem belastenden VA eingelegten Rechtsbehelfen kann der Adressat eines belastenden VA erst einmal die Rechtmäßigkeit des gegen ihn erlassenen VA prüfen lassen, ohne dass er eine Vollstreckung dieses VA durch die Behörde befürchten muss.

3. Entfallen der aufschiebenden Wirkung bei sofortiger Vollziehung

Diese aufschiebende Wirkung der gegen einen belastenden VA eingelegten Rechtsbehelfe entfällt, sobald der anzufechtende VA sofort vollziehbar ist. Unter „sofort vollziehbar“ versteht man solche Verwaltungsakte, gegen die eingelegte Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben. Sobald ein Verwaltungsakt „sofort vollziehbar“ ist, findet § 80 I S.1 VwGO keine Anwendung.

B. Wovon ist die sofortige Vollziehung zu unterscheiden ?

Die sofortige Vollziehung ist von dem sog. „Sofortvollzug“ und der „unmittelbaren Ausführung“ zu unterscheiden. Die sofortige Vollziehung setzt immer einen bestehenden und gem. § 43 VwVfG wirksamen Verwaltungsakt iSd. § 35 VwVfG voraus. Sofortvollzug sowie unmittelbare Ausführung sind Realakte, welche keinen vorausgehenden Verwaltungsakt voraussetzen.

1. Sofortvollzug

Der Sofortvollzug gehört mit zu den allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsmittel wie Ersatzvornahme, Zwangsgeld und unmittelbarer Zwang.

2. Unmittelbare Ausführung

Die unmittelbare Ausführung von Verwaltungsakten ist nicht in allen Bundesländern als Ermächtigungsgrundlage für staatliches Handeln normiert. Dort, wo sie im Polizeirecht enthalten ist, gehört sie nicht zu den Zwangsmitteln wie der Sofortvollzug. Damit setzt sie immer voraus, dass der durch das Realhandeln Betroffene mit der Maßnahme, wenn auch mutmaßlich, einverstanden ist. Handelt es sich um Maßnahmen, welche die Behörde gegen den Willen des Betroffenen durchsetzen will, müssen die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage für den Sofortvollzug vorliegen. In diesem Fall reicht die unmittelbare Ausführung als Ermächtigungsgrundlage nicht aus.

C. Wie steht die sofortige Vollziehung zu einem Antrag nach § 80 V VwGO ?

Bei dem Antrag nach § 80 V VwGO geht es im Regelfall um das Ersuchen des Adressaten eines sofort vollziehbaren Verwaltungsaktes, die von der Behörde nach § 80 II Nr. 4 VwGO veranlasste sofortige Vollziehung durch das Gericht wieder aufzuheben. Damit ist der § 80 V S. 1 Alt. 2 VwGO der wichtigste Anwendungsfall des § 80 V VwGO. Das Gericht wird die sofortige Vollziehung wieder aufheben, wenn der Antrag nach § 80 V S. 1 Alt. 2 VwGO zulässig und begründet ist. Das Prüfschema für Zulässigkeit und Begründetheit eines Antrages nach § 80 V VwGO ist Gegenstand eines anderen Blog-Beitrages. An dieser Stelle bleibt schon festzuhalten, dass der Antrag nach § 80 V S. 1 Alt. 2 VwGO jedenfalls dann begründet ist, wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Behörde keine Ermächtigungsgrundlage hat oder formell oder materiell rechtswidrig war. Damit ist die Prüfung der Begründetheit des § 80 V S. 1 Alt. 2 VwGO identisch mit der unter E. aufgeführten Prüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung auf Erlass der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes.

D. Arten der sofortigen Vollziehung

Die Umstände, welche einen VA sofort vollziehbar machen, sind in § 80 II Nr.1-4 VwGO geregelt.

1. Sofortige Vollziehung durch Gesetz

In § 80 II Nr.1-3 VwGO sind die Fälle aufgeführt, in denen das Gesetz bereits die sofortige Vollziehbarkeit von bestimmten Verwaltungsakten festlegt.

2. Sofortige Vollziehung durch Anordnung der Behörde

In § 80 II Nr.4 VwGO ist der Fall aufgeführt, in welchem die Behörde die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes von sich aus anordnen kann.

Der Fall des § 80 II Nr.4 VwGO ist der Regelfall in ÖR-Klausuren sowie ÖR-Hausarbeiten. Aus diesem Grunde schließt sich hier ein Prüfschema zu § 80 II Nr.4 VwGO an.

E. Prüfschema für Anordnung nach § 80 II Nr.4 VwGO

Zu prüfen ist die Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung. Diese müsste auf einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage beruhen sowie formell als auch materiell rechtmäßig sein.

I. Ermächtigungsgrundlage

Nach dem in Art.20 III GG festgelegten Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes bedarf jede den Bürger belastende Maßnahme der Verwaltung einer gesetzlichen Grundlage, der sog. Ermächtigungsgrundlage. Die für die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines VA einschlägige Ermächtigungsgrundlage für die Behörde ist der § 80 II Nr.4 VwGO.

II. Formelle Rechtmäßigkeit

Weiterhin müsste die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtmäßig erlassen worden sein.

1. Zuständigkeit

Zuständig für die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes ist nach § 80 II Nr.4 VwGO die Behörde, die den VA erlassen hat. Damit richtet sich die Zuständigkeit für die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach der Zuständigkeit zum Erlass des zugrundeliegenden Verwaltungsaktes.

a.) örtliche Zuständigkeit

Wenn nach dem zu bearbeitenden Fall keine besonderen Gesetze einschlägig sind, aus denen sich die örtliche Zuständigkeit der den VA erlassenden Behörde ergibt, richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach § 3 VwVfG.

b.) sachliche Zuständigkeit

Die sachliche Zuständigkeit richtet sich in der Regel nach dem Gesetz, welches auch für die Ermächtigungsgrundlage für den zu erlassenden Verwaltungsakt einschlägig ist.

2.Verfahren

Fraglich ist, ob der Adressat des für sofort vollziehbar erklärten Verwaltungsaktes vor der Anordnung der sofortigen Vollziehung von der erlassenden Behörde angehört werden muss.

a.) § 28 I VwVfG analog

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung hat, ebenso wie der ihr zugrundeliegende Verwaltungsakt, für den Adressaten eine belastende Wirkung. Grundsätzlich muss nach § 28 I VwVfG vor Erlass eines belastenden Verwaltungsaktes der Betroffene angehört werden. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung beinhaltet jedoch keine eigenständige „Regelung“ iSd. § 35 VwVfG und stellt daher selbst keinen Verwaltungsakt dar. Sie setzt vielmehr einen bereits bestehenden Verwaltungsakt voraus. Aus diesem Grunde könnte sich das Erfordernis einer Anhörung vor Erlass einer sofortigen Vollziehung allenfalls aus einer analogen Anwendung des § 28 I VwVfG ergeben.

b.) fehlende Gesetzgebungskompetenz

Gegen die analoge Anwendung des § 28 I VwVfG spricht, dass die sofortige Vollziehung und damit auch die formellen Voraussetzungen für die Anordnung einer sofortigen Vollziehung in § 80 VwGO und damit in einem Bundesgesetz geregelt sind. In den meisten Fällen wird eine Landesbehörde die sofortige Vollziehung anordnen und den entsprechenden Verwaltungsakt erlassen. Für die Landesbehörden sind aber, was den Erlass von Verwaltungsakten anbelangt, nur die VwVfG der Länder anwendbar. Aufgrund des in Art. 30 GG geregelten Trennungsprinzips dürfen die Länder und damit auch die Landesgesetzgeber im Kompetenzbereich des Bundes keine Regelungen vornehmen. Damit entfällt die Möglichkeit einer analogen Anwendung des § 28 I VwVfG. Wollte man dies zulassen, würde der Landesgesetzgeber den vom Bund erlassenen § 80 VwGO dahingehend ergänzen, dass er nach § 28 I VwVfG analog zusätzlich vor Erlass einer Anordnung der sofortigen Vollziehung eine Anhörung des Betroffenen voraussetzen würde. Dies würde einen Verstoß gegen Art. 30 GG darstellen.

c.) Ergebnis

Aus diesem Grunde entfällt das Erfordernis einer Anhörung vor Erlass einer Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 28 I VwVfG analog.

Nur wenn eine Bundesbehörde von ihrem Recht aus § 80 II Nr.4 VwGO Gebrauch macht, kann eine analoge Anwendung des § 28 I VwVfG und damit das Erfordernis einer Anhörung in Frage kommen, da die Bundesbehörde das VwVfG des Bundes anwendet und in diesem Fall der Art. 30 GG einer Ergänzung des § 80 V VwGO nicht entgegensteht.

3. Form

Die formalen Voraussetzungen für den Erlass einer Anordnung der sofortigen Vollziehung müssen ebenfalls erfüllt sein.

a.) Begründung des öffentlichen Interesses

Das nach § 80 II Nr. 4 VwGO für die Anordnung der sofortigen Vollziehung notwendige öffentliche Interesse ist in der Anordnung nach § 80 III S.1 VwGO „schriftlich zu begründen“.

b.) Abgrenzung zur Begründung des Verwaltungsaktes

Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung ist nicht zu verwechseln mit der nach § 39 VwVfG erforderlichen Begründung des zugrundeliegenden und für den Adressaten belastenden Verwaltungsaktes.

Die nach § 80 III S.1 VwGO erforderliche Begründung muss eine gegenüber dem Erlassgrund für den VA hinausgehende, eigenständige Begründung enthalten, aus welcher sich der Grund ergibt, warum der belastende Verwaltungsakt auch noch für sofort vollziehbar erklärt werden muss. Daraus folgt, dass Erlassgrund und der Grund für die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht identisch sein dürfen.

III. Materielle Rechtmäßigkeit

Schließlich müsste die Anordnung der sofortigen Vollziehung auch materiell rechtmäßig erlassen worden sein. Dies ist der Fall, wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung im überwiegenden Interesse eines Beteiligten oder im öffentlichen Interesse liegt. Die materielle Rechtmäßigkeit wird in zwei Schritten geprüft:

1. Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, welcher für sofort vollziehbar erklärt werden soll

Im ersten Schritt wird geprüft, ob der Verwaltungsakt, welcher für sofort vollziehbar erklärt werden soll, rechtmäßig ist. Dies aus dem Grunde, weil die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes, dem es schon an der Rechtmäßigkeit fehlt, niemals im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten liegen kann. Dies ergibt sich auch aus Art. 20 III GG, wonach die Verwaltung an Recht und Gesetz gebunden ist. An dieser Stelle ist somit zu prüfen, ob der erlassene Verwaltungsakt, welcher für sofort vollziehbar erklärt werden soll, auf einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage beruht sowie formell und materiell rechtmäßig zustandegekommen ist.

2. Interessenabwägung

Hat die Prüfung ergeben, dass der Verwaltungsakt rechtmäßig ist, erfolgt der zweite Schritt der Prüfung. In diesem Schritt erfolgt die Abwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse oder dem überwiegenden Interesse eines Beteiligten an der sofortigen Vollziehung auf der einen Seite und dem Interesse des Betroffenen an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung auf der anderen Seite.

3. Ergebnis

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist im Ergebnis materiell rechtmäßig, wenn der zugrundeliegende Verwaltungsakt rechtmäßig ist und das Vollzugsinteresse der Behörde oder eines Dritten das Aussetzungsinteresse des Adressaten überwiegt. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist materiell rechtswidrig, wenn entweder der zugrundeliegende VA rechtswidrig ist oder das Aussetzungsinteresse des Adressaten das Vollzugsinteresse der Behörde oder eines Dritten überwiegt.

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F. Anmerkungen

Zur Ergänzung siehe auch den Beitrag zum Verfahren nach § 80 V VwGO sowie die Klausur zu § 80 V VwGO mit dem Titel „Gesundheitsschädliche Wissenschaft“ sowie die Klausur zu einem „Langfristigem Aufenthaltsverbot durch die Polizei“.

Für weitere aktuelle Beiträge siehe auch die Übersicht zu „Artikel“.

Zu dem Thema dieses Beitrages kann jederzeit ein vertiefender Crashkurs gebucht werden oder ein Coaching im Repetitorium stattfinden.

siehe auch Prüfungsschema zu Art. 14 I 1 GG, „Klausur zur Berufsfreiheit

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