Das Versäumnisurteil gem. §§ 330 ff. ZPO

Grundzüge zum Versäumnisurteil in Vorbereitung auf die BGB Klausur sowie das 1. und 2. Staatsexamen.

Datum
Rechtsgebiet Zivilprozessrecht
Ø Lesezeit 11 Minuten
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Das Versäumnisurteil (VU) erscheint für Studenten, die sich in der Vorbereitung auf das erste Staatsexamen befinden, wenig relevant. Somit wird häufig der Mut zur Wissenslücke aufgebracht. Wer diese Entscheidung fällt, sollte jedoch wenigstens die Grundlagen des Versäumnisurteils und des Einspruchs beherrschen, um den Eingang in die Begründetheitsprüfung zu schaffen. Hierdurch können wertvolle Punkte in der Klausur gesammelt werden. Spätestens im zweiten Staatsexamen sollte der Prüfling jedoch vertiefte Kenntnisse der §§ 330 ff. ZPO haben.

Die §§ 330 ff. ZPO unterteilen sich dabei in folgende Abschnitte:

1. Der Erlass des Versäumnisurteils (1. Versäumnisurteil)

2. Das Einspruchverfahren

3. Die Säumnis im Einspruchstermin (2. Versäumnisurteil)

Grundgedanke der VU-Regelung ist es eine Entscheidung im Rechtsstreit auch dann herbeizuführen, wenn eine Partei ihre Mitwirkung in diesem unterlässt. Das Gesetz unterscheidet hierbei zwischen dem Versäumnisurteil gegen den Kläger (§ 330 ZPO) und den Beklagten (§ 331 ZPO). Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass ggü. dem säumigen Kläger keine Schlüssigkeitsprüfung erfolgt und § 335 Nr. 3 ZPO nicht anwendbar ist.

I. Prüfungsaufbau des Versäumnisurteils gegen den Beklagten, § 331 ZPO

A. Zulässigkeit der Klage

B. Voraussetzungen des Versäumnisurteils

1. Antrag des Klägers, § 331 I S. 1 ZPO

2. Termin zur mündlichen Verhandlung, § 331 I S. 1 ZPO

3. Beklagter muss säumig sein, § 331 I S. 1 ZPO

4. Keine Unzulässigkeit nach § 335 ZPO

5. Schlüssigkeitsprüfung, § 331 I, II ZPO (entspricht der Begründetheitsprüfung)

II. Prüfungsaufbau des Versäumnisurteils gegen den Kläger, § 330 ZPO

A. Zulässigkeit der Klage

B. Voraussetzungen des Versäumnisurteils

1. Antrag des Beklagten, § 330 ZPO

2. Termin zur mündlichen Verhandlung, § 330 ZPO

3. Kläger muss säumig sein, § 330 ZPO

4. Keine Unzulässigkeit nach § 335 ZPO (mit Ausnahme des § 335 I Nr. 3 ZPO)

III. Vertiefung der einzelnen Prüfungspunkte aus II. und III.

  1. Zulässigkeit der Klage

Zu beachten ist, dass das Versäumnisurteil ein Sachurteil ist und somit die Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen müssen.

  1. Antrag des Klägers/des Beklagten gem. § 331 I S. 1 ZPO/§ 330 ZPO

Der Kläger muss im Prozess sowohl den Sachantrag aus der Klageschrift als auch den Prozessantrag auf Entscheidung durch Versäumnisurteil gem. § 331 ZPO stellen.

Der Beklagte muss zwei Prozessanträge stellen. Zum einen den Klageabweisungsantrag und zum anderen den Antrag auf Versäumnisurteil gem. § 330 ZPO.

  1. Termin zur mündlichen Verhandlung, § 331 I S. 1 ZPO/§ 330 ZPO

Bzgl. des Termins kommt es nicht darauf an, ob es sich hierbei um den ersten oder um einen späteren Verhandlungstermin handelt. Wichtig ist jedoch, dass die Partei ordnungsgemäß zum Termin geladen wurde. Ansonsten ist § 335 I Nr. 2 ZPO zu beachten.

Stets zu unterscheiden ist die mündliche Verhandlung von der Beweisaufnahme. Gem. § 357 ZPO ist es den Parteien gestattet, der Beweisaufnahme beizuwohnen. Schon aus dem Wortlaut ergibt sich, dass die Parteien nicht anwesend sein müssen. Folglich kann bei der Beweisaufnahme auch keine Säumnis der Partei vorliegen. Vielmehr ist die Beweisaufnahme auch bei Fehlen einer Partei gem. § 367 I ZPO durchzuführen. Zu beachten ist allerdings, dass meist nach der Beweisaufnahme die mündliche Verhandlung folgt, sodass in dieser die Säumnis der Partei auftreten kann.

  1. Der Kläger/der Beklagte muss säumig sein, § 331 I S. 1 ZPO/§ 330 ZPO

Die Säumnis kann zum einen durch das Fehlen als auch durch das nicht Verhandeln der Partei vorliegen. Das „Nichtverhandeln“ nach § 333 ZPO kann dadurch auftreten, dass die Partei keine Anträge stellt (z.B. um die Flucht in die Säumnis anzutreten) oder in einem Prozess mit Anwaltszwang ohne Anwalt verhandeln will (z.B. beim Landgericht, § 78 ZPO).

An diesem Prüfungspunkt ist ferner der § 337 S. 1 2. Alt ZPO zu beachten. Sofern die Partei ohne Verschulden am Erscheinen in der mündlichen Verhandlung verhindert war, hat das Gericht die Verhandlung zu vertagen. Liegt eine Vertagung vor, so kann die Partei im neuen Termin die Säumnis durch Verhandeln abwenden. Ist sie wiederum säumig, so wird allerdings das Versäumnisurteil aufgrund der neuen Verhandlung erlassen. Das „nicht zu verschulden haben“ ist ein Erlasshindernis und vom Gericht von Amtswegen zu beachten. Das Verschulden einer Partei muss dabei im Einzelfall festgestellt werden. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass hohe Grenzen gesetzt werden müssen, um einem Missbrauch vorzubeugen. So ist z.B. einem Rechtsanwalt, der ein Handy besitzt, meist immer zumutbar das Gericht zu informieren, sofern ein unvorhersehbares Zeithindernis auftritt.

  1. Keine Unzulässigkeit nach § 335 ZPO

Sollte einer der Fälle vorliegen, so ist das Versäumnisurteil unzulässig. Der Antrag der Partei wird daraufhin durch einen Beschluss abgewiesen.

  1. Schlüssigkeitsprüfung (nur bei Säumnis des Beklagten), § 331 II ZPO

Die Schlüssigkeit der Klage liegt vor, sofern das tatsächliche Vorbringen des Klägers, als wahr unterstellt, den Klageantrag rechtfertigt. Hierzu muss überprüft werden, ob der geltend gemachte Anspruch besteht. Bestehen die Anspruchsgrundlagen, so ergeht das (echte) Versäumnisurteil. Liegt der Anspruch nicht vor, so ist die Klage unschlüssig und es ergeht ein die Klage abweisendes Urteil (unechtes Versäumnisurteil).

IV. Unterscheidung zwischen echtem und unechtem Versäumnisurteil

Diese Unterscheidung dient nur der Abgrenzung und ist keinesfalls in einer Klausur zur erwähnen. Ein echtes Versäumnisurteil liegt immer dann vor, sofern das Versäumnisurteil aufgrund der Säumnis einer Partei erlassen worden ist.

Zur Verdeutlichung

Rele

Wesentliche Unterschiede liegen darin, dass gegen das echte Versäumnisurteil nur der Einspruch als Rechtsbehelf geltend gemacht werden kann. Beim unechten Versäumnisurteil kann mit dem Rechtsmittel der Berufung (Revision) angefochten werden, da es sich um ein streitiges Endurteil handelt. Ferner ist die Vollstreckung zu beachten. Während beim echten Versäumnisurteil § 708 Nr. 2 ZPO greift, gelten für das unechte Versäumnisurteil die §§ 708 Nr. 11 bzw. § 711 ZPO sowie § 709 ZPO.

V. Der Einspruch gem § 338 ff. ZPO

Der Einspruch dient als Rechtsbehelf dem Schutz der säumigen Partei. Sofern der Einspruch zulässig ist, wird der Prozess zurückversetzt in die Lage vor dem Eintritt der Säumnis gem. § 342 ZPO. Sollte der Einspruch unzulässig sein, so wird er gem. § 341 ZPO als unzulässig verworfen. Das zuvor ergangene Versäumnisurteil bleibt bestehen.

VI. Prüfungsaufbau des Einspruchs

A. Zulässigkeit des Einspruchs

1. Statthaftigkeit des Einspruchs gem. § 338 ZPO

2. Form gem. § 340 I und II ZPO

3. Frist gem. 339 ZPO

4. Ergebnis (sofern der Einspruch zulässig ist, wird B. und C. geprüft)

B. Zulässigkeit der Klage

C. Begründetheit der Klage

Für die Zulässigkeit und Begründetheit der Klage ist zu beachten, dass der Zeitpunkt der Beurteilung der jetzige Stand ist.

VII. Vertiefung der Prüfungspunkte aus VI.

  1. Die Zulässigkeit des Einspruchs

In der Klausur ist zu beachten, dass die Zulässigkeit des Einspruchs von der Zulässigkeit der Klage abzugrenzen ist. Ferner darf auf keinen Fall eine Begründetheit des Einspruchs geprüft werden, da nur die Klage begründet sein kann.

  1. Statthaftigkeit des Einspruchs

Statthaft ist der Einspruch, sofern er sich gegen ein echtes Versäumnisurteil richtet. Liegt ein unechtes Versäumnisurteil vor, so sind die allgemeinen Rechtsmittel statthaft.

  1. Form gem. § 340 I und II ZPO

Der Einspruch ist gem. § 340 I ZPO bei dem Prozessgericht (judex a quo) einzulegen. Deshalb handelt es sich bei dem Einspruch auch um einen Rechtsbehelf und nicht um ein Rechtsmittel, da dem Einspruch der Devolutiveffekt (die Sache wird von einer höheren Instanz entschieden, judex ad quem) fehlt.

Ferner ist § 340 II ZPO zu überprüfen (notwendiger Inhalt der Einspruchsschrift). Bei § 340 III ZPO handelt es sich nicht um eine Zulässigkeitsvoraussetzung. Sollte ein Verstoß hiergegen vorliegen, so kann dies zu einer Verspätungspräklusion gem. §§ 340 III,  296 ZPO führen.

  1. Frist gem. § 339 ZPO

Grds. gilt die Zweiwochenfrist gem. § 339 ZPO (nur eine Woche im arbeitsgerichtlichen Verfahren). Die Frist wird gem. §§ 222 ZPO, 187, 188 BGB berechnet. Sie beginnt gem. § 317 ZPO mit der Zustellung an die unterlegene Partei. Hierbei ist vom Gericht gem. § 232 ZPO über den Rechtsbehelf des Einspruchs, die Einspruchsfrist und -form zu belehren. Unterbleibt die Belehrung, wird jedoch gleichwohl die Einspruchsfrist in Gang gesetzt, denn insoweit ist Voraussetzung nach § 339 Abs. 1 2. HS ZPO allein die Zustellung des Versäumnisurteils (vgl. BGH NJW 2011, 522 ff., wonach für eine einschränkende Interpretation des § 339 Abs. 1 2. HS ZPO keine Veranlassung besteht).

  1. Ergebnis

Ist der Einspruch unzulässig, so wird dieser gem. § 341 I S. 2 ZPO als unzulässig verworfen.

Ist er zulässig, so wird der Prozess gem. 342 ZPO in die Lage zurückversetzt, in der er sich vor dem Eintritt der Säumnis befand. Dies bedeutet, dass nun die Zulässigkeit und die Begründetheit der Klage geprüft werden müssen. Das Gericht tut dies im sog. Einspruchstermin gem. § 341a ZPO.

  1. Zulässigkeit und Begründetheit der Klage

Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Klage zulässig und begründet ist, so wird das Versäumnisurteil aufrechterhalten, § 343 Satz 1 ZPO. Ist die Klage unzulässig oder unbegründet, dann wird das Versäumnisurteil durch ein neues Urteil aufgehoben, § 343 Satz 2 ZPO.

VIII. Das 2. Versäumnisurteil gem. § 345 ZPO

Ist die säumige Partei aus dem ersten Versäumnisurteil auch im angesetzten Einspruchstermin wiederum säumig, so ergeht technisch ein zweites Versäumnisurteil. Die Folge ist, dass der Einspruch des Einspruchsführers (= säumige Partei des ersten Versäumnisurteils) verworfen wird und das erste Versäumnisurteil als zweites Versäumnisurteil bestehen bleibt. Gegen das zweite Versäumnisurteil kann nur noch die Berufung eingelegt werden. Zu beachten ist allerdings, dass gem. § 514 II ZPO keine schuldhafte Säumnis des Einspruchsführers vorgelegen haben darf.

IX. Prüfungsaufbau des 2. Versäumnisurteils

A. Antrag auf 2. Versäumnisurteil

B. Zulässiger Einspruch

C. Säumnis im Einspruchstermin

D. Gesetzmäßigkeit des 1. Versäumnisurteils (str., ob dies zu prüfen ist)

X. Vertiefung der Prüfungspunkte aus IX.

  1. Antrag auf 2. Versäumnisurteil

Wie auch beim ersten Versäumnisurteil muss wiederum ein Prozessantrag gestellt werden.

  1. Zulässiger Einspruch

Das Gericht hat gem. § 341 ZPO zu jederzeit von Amts wegen zu überprüfen, ob der Einspruch zulässig ist. War der Einspruch schon unzulässig, so ergeht ein Urteil, in dem der Einspruch verworfen wird.

  1. Säumnis im Einspruchstermin

Der Einspruchsführer muss im Einspruchstermin säumig sein. Sofern es im Einspruchstermin schon zur Verhandlung der Hauptsache kam (bei Anwesenheit des Einspruchsführers) und dann ein weiterer Termin zur Fortsetzung der Verhandlung festgelegt wird, in dem der Einspruchsführer nun fehlt, scheidet § 345 ZPO aus. Es muss wiederum ein 1. Versäumnisurteil erlassen werden.

  1. Gesetzmäßigkeit des 1. Versäumnisurteils

Fraglich ist, ob das Gericht nochmals das erste Versäumnisurteil auf folgende Punkte zu überprüfen hat:

a. Dass es verfahrensrechtlich korrekt erging

b. Dass die Klage zulässig ist

c. Dass die Klage schlüssig ist

Nach ganz herrschender Meinung findet keine weitere Überprüfung der Gesetzmäßigkeit des ersten Versäumnisurteils statt. Dies lässt sich zum einen dadurch begründen, dass § 345 ZPO lex specialis zu § 342 ZPO ist und § 345 ZPO im Gegensatz zu § 342 ZPO keine Schlüssigkeitsüberprüfung fordert. Eine Schlüssigkeitsprüfung im 2. Versäumnisurteil erfolgt nur im Rahmen des Mahnverfahrens gem. § 700 VI ZPO. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass im regulären Verfahren keine Überprüfung stattfindet.

Nach einer anderen Meinung hat eine Überprüfung der oben genannten Punkte zu erfolgen, da § 342 ZPO den Prozess in die Lage vor der ersten Säumnis zurückversetzt und somit diese wiederum zu überprüfen ist.

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XI. Besonderheit: Flucht in die Säumnis

Die Flucht in die Säumnis bedeutet, dass die Angriffs- und Verteidigungsmittel (einige Bsp. sind in § 282 I ZPO aufgezählt) erstmals im Einspruchstermin vorgetragen werden, weil zuvor der Vortrag wegen Verspätung zurückgewiesen wurde. Somit bietet diese Methode der säumigen Partei eine weitere Chance vergessene Angriffs– und Verteidigungsmittel in den Prozess miteinfließen zu lassen. Zu beachten ist allerdings, dass nur das eingebracht werden kann, was bis zum Einspruchstermin zur Verfügung steht. Die Vernehmung von weiteren Zeugen wird dabei regelmäßig kein Problem darstellen. Jedoch könnte ein Sachverständigengutachten, welches ein halbes Jahr dauert, gem. § 296 ZPO präkludiert sein. Das Gericht hat nämlich den Einspruchstermin so früh wie möglich stattfinden zu lassen (gem. § 272 III ZPO) und nicht aufgrund der „Flucht“ diesen erst in einem halben Jahr festzusetzen. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass der Parteigegner gem. § 331a ZPO anstelle des Versäumnisurteils eine Entscheidung nach Lage der Akten beantragt.

Anmerkung

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