Räuberische Erpressung – Prüfungsschema

Räuberische Erpressung gem. §§ 253, 255 StGB - kommentiertes Prüfungsschema mit zahlreichen Beispielen und Hinweisen für die Klausur; Abgrenzung zum Tatbestand des Raubes - Selbstschädigungs- vs. Fremdschädigungsdelikt

Datum
Rechtsgebiet Strafrecht
Ø Lesezeit 10 Minuten
Foto: Max Sky/Shutterstock.com

Dieses Schema der räuberischen Erpressung gem. §§ 253 I, 255 StGB gehört als Teil 2 zu einer aus insgesamt 3 Artikeln bestehenden Reihe. Die Artikelreihe befasst sich in Teil 1 mit dem Raub und in Teil 3 mit der Abgrenzung der beiden Tatbestände als DEM Prüfungsklassiker im Strafrecht BT.

Sowohl in Anfängerhausarbeiten als auch im Examen wird der Student immer wieder mit diesem „Evergreen“ des Strafrechts konfrontiert. Hier kann und darf man nicht auf Lücke setzen. Und je früher man die Problematik rund um diese beiden Tatbestände verstanden hat, desto schneller geht die Wiederholung in der Examensvorbereitung. Zudem kann man an diesem Streitstand wunderbar die Auslegungsmethodik im rechtswissenschaftlichen Studium trainieren.

A. Prüfungsschema kurz:

I. Objektiver Tatbestand

1. Tathandlung

a) Gewalt gegen eine Person

b) Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben

2. Taterfolg

Tun, Dulden oder Unterlassen

  1. Vermögensverfügung (str.)Hier wird die Abgrenzung zum Raub vorgenommen.
  2. Vermögensnachteil – Rechtswidrigkeit der Bereicherung. Wenn der Täter einen Anspruch auf das Geld hatte, liegt kein Vermögensnachteil vor, weil der Schuldner hier im Gegenzug Befreiung von einer Verbindlichkeit erlangt.
  3.  Evtl. Qualifikationen nach § 250 I, II StGB → diese gelten auch i.R.d. §§ 253, 255 StGB (dann schwere räuberische Erpressung)

II. Subjektiver Tatbestand

  1. Vorsatz bzgl. I 1.- 5.
  2. Bereicherungsabsicht auf einen rechtswidrigen, stoffgleichen Vermögensvorteil. Denkt der Täter, er habe einen Anspruch auf Zahlung, unterliegt er einem nach § 16 I StGB relevanten Tatbestandsirrtum.

III./IV. Rechtswidrigkeit/Schuld

B. Prüfungsschema des § 253 I StGB mit Erläuterungen:

I. Objektiver Tatbestand

1. Tathandlung

Tathandlung der Erpressung gem. § 253 I StGB ist (der Einsatz von) Gewalt oder die Drohung mit einem empfindlichen Übel. Wird Gewalt/Drohung gegen eine Person eingesetzt, ist die Qualifikation aus § 255 StGB einschlägig

Damit ist unter § 253 StGB nur Gewalt gegen Sachen zu fassen.

Beispiel: Schutzgelderpressung. Die Täter A, B und C kommen in die Kneipe des O, der sich weigert, einen von ihnen vorgegebenen Betrag an sie zu zahlen. A, B und C randalieren dort und zerstören das Mobiliar (Schutzgelderpresserfall).

a) Gewalt gegen eine Person:

Wie im Teil 1 der Artikelreihe schon gezeigt, versteht man unter Gewalt körperlich wirkenden Zwang durch eine un-/mittelbare Einwirkung auf den Körper eines anderen, der nach der Vorstellung des Täters bestimmt (subjektiv) und geeignet (objektiv) ist, einen tatsächlich geleisteten oder erwarteten Widerstand des Opfers zu überwinden oder unmöglich zu machen.

Beispiel: Der Schlag mit einem Baseballschläger auf den Kopf des Opfers, Würgen bis zur Bewusstlosigkeit, Einsperren in einen Keller als mittelbare Einwirkung auf das Opfer.

b) Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben

aa) Drohung

Unter Drohung versteht man das (auch konkludente) Inaussichtstellen eines empfindlichen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss zu haben vorgibt. Sonst handelt es sich nur um eine Warnung!

Beispiel: A droht, im Discounter A der Ladenkette A die Babynahrung zu vergiften. Es reicht nach h. M. für die Bedrohung aus, dass dem Erpressten die Bedrohung selbst als Übel erscheint.

Keine Drohung ist es, wenn die A gegenüber dem B erklärt, von C erpresst zu werden, weil C kompromittierende Fotos von A und B hat und diese veröffentlichen möchte, wenn A und B ihm nicht 50.000 Euro Schweigegeld dafür zahlen. A ist selber Opfer der Erpressung und gibt gegenüber B nicht vor, Einfluss auf die Veröffentlichung der Fotos zu haben. Sie erpresst B damit also nicht. C macht sich allerdings wegen Erpressung strafbar.

Hinweis: Für die Drohung ist übrigens alleine ausschlaggebend, ob nach der Tätervorstellung die Drohung den Anschein der Ernstlichkeit erweckt und vom Opfer als solche ernstgenommen wird. Es ist daher nicht von Belang, ob der Täter das Angedrohte auch auszuführen im Stande ist. Solange er denkt, das Opfer glaube das Angedrohte und er vorgibt, auf das Inaussichtgestellte Einfluss zu haben, genügt dies.

Beispiel: A droht mit einer zum Verwechseln echt aussehenden Pistole, dass er den Bankangestellten „kalt machen“ werde. Dass sich diese Drohung nicht umsetzen lässt, ist belanglos, solange der Täter nach seiner Vorstellung davon ausgeht, der Bankangestellte werde es glauben und entsprechend reagieren.

Gleiches gilt selbstverständlich auch für die Drohungsalternative beim Raub.

bb) mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben

Die in Aussicht gestellte Schädigung an Leib oder Leben muss bei ungestörter Weiterentwicklung der Dinge nach menschlicher Erfahrung sicher oder höchst wahrscheinlich zu erwarten sein, falls nicht alsbald Abwehrmaßnahmen ergriffen werden (BGH NJW 1989, 167).

2. Taterfolg

Tun, Dulden oder Unterlassen

Hinweis: Man kann die Vermögensverfügung als selbstständigen Punkt prüfen, wie ich es hier zur Verdeutlichung unter 3. tue oder innerhalb des Nötigungserfolges die Frage aufwerfen, ob das Tun, Dulden oder Unterlassen eine Vermögensverfügung darstellt/darstellen muss.

Hinweis: Lasst euch nicht vom Schema beherrschen, sondern beherrscht das Schema. Das klingt abgedroschen, hat aber einen einfachen Sinn. Denn die Grundzüge einer Tatbestandsprüfung solltet ihr kennen, aber immer flexibel auf den genauen Fall anwenden. Wenn gerade dieser Punkt in der Fallbearbeitung problematisch erscheint, ist es sicherlich nicht falsch, hier ausführlicher vorzugehen. Ist ein Tatbestandsmerkmal mal unproblematisch gegeben und der Sachverhalt vollgefrachtet mit anderen Problemen, könnt ihr das Merkmal in einem Satz abhandeln. Wichtig ist, dass ihr dafür ein Gefühl bekommt, wann der Korrektor etwas ausführlicher behandelt wissen will. Auch hier gilt: Übung macht den Meister!

3. Vermögensverfügung

Ob bei der räuberischen Erpressung überhaupt eine Vermögensverfügung gegeben sein muss, ist eines der umstrittensten Fragen des Strafrecht BT. Im Kern geht es um die Struktur des Tatbestandes der (räuberischen) Erpressung: Ist der Raub lex specialis zur (räuberischen) Erpressung oder ist er ein eigenständiger Tatbestand mit eigenständigem Anwendungsbereich. M.a.W. besteht zwischen Raub und räuberischer Erpressung ein Exklusivitäts- oder Spezialitätsverhältnis? Ein Klassiker, mit dem sich jeder Student wohl schon in einer Hausarbeit oder einer Klausur auseinandersetzen musste.

Klar kann man die Argumente für die eine oder die andere Seite nun einfach auswendig lernen. Didaktisches Ziel dieses Artikels ist es aber, sich die Argumentation anhand der Auslegungsmethodik selbst zu erarbeiten.

Wortlaut und Gesetzessystematik

Nun kann man mit der Rspr. zunächst anhand des Wortlautes der Vorschrift gegen eine Vermögensverfügung argumentieren. Weder explizit noch implizit wird von den Vorschriften §§ 253, 255 StGB eine Vermögensverfügung vorausgesetzt. Die Gegenansicht verweist (systematisches Argument) auf die „Artverwandtheit“ zum Betrug in § 263 I StGB. Auch hier geht aus dem Gesetzestext nicht explizit die Notwendigkeit des Vorliegens einer Vermögensverfügung vor.

Fremdschädigungs- vs. Selbstschädigungsdelikt

Damit kann man zu einem weiteren systematischen Argument überleiten. Das Verhältnis zwischen Betrug und Diebstahl steht in einem Exklusivitätsverhältnis. Hier wird die Unterschiedlichkeit vor allem auf folgende Formel herunter gebrochen:

„Beim Diebstahl handelt es sich um ein Fremdschädigungsdelikt, der Betrug hingegen ist ein Selbstschädigungsdelikt“.

Daraus ergibt sich ein Alternativverhältnis dergestalt, dass entweder ein Diebstahl, also eine Fremdschädigung vorliegt oder ein Betrug, also eine (i.d.R unbewusste) Selbstschädigung. Gleiche Argumentation wendet die herrschende Lit. auch bei der hiesigen Abgrenzungsdiskussion an, mit der Konsequenz, dass dann für die Unterscheidung bei der (räuberischen) Erpressung eben auch eine Vermögensverfügung gegeben sein müsse, um die beiden Tatbestände in ihrer Funktion klar zu trennen. Sonst, so die Lit., gäbe es keinen funktionalen Unterschied in der Anwendung, womit die §§ 253, 255 StGB obsolet wären.

Kriminalpolitisches Argument

Ein sehr schönes und bei den Praktikern unter den Examenskorrektoren zugleich beliebtes, da von der Rspr. vertretenes Argument ist ein kriminalpolitisches: So kann es sein, dass es zu Strafbarkeitslücken kommt, wenn aufgrund der mangelnden Zueignungsabsicht kein Raub vorliegt. Würde man das Verhältnis der § 249 I StGB und §§ 253 I, 255 StGB als exklusiv verstehen, würden letztere für die Strafbarkeitserwägung nicht in Betracht kommen. Dann bliebe allenfalls eine Nötigung bestehen. 

Teleologisches Argument

Neben dem kriminalpolitischen Argument führt die Rspr. noch einen weiteren Gedanken ins Feld: Bei der Erpressung gem. § 253 StGB wird die Gewalt wort- und sinngleich verwendet wie bei der Nötigung gem. § 240 I StGB. Bei der Nötigung wird Gewalt aber sowohl in Form von vis compulsiva als auch in Form von vis absoluta (zur Unterscheidung der beiden Formen schaut euch Teil 3 der Artikelreihe an; hier wird auf die Begriffe und Bedeutungen eingegangen) verstanden. Folgte man nun der herrschenden Lit., die die Gewalt bei § 253 I StGB enger fassen möchte, würden die wortgleichen Tathandlungen künstlich unterschieden. Dies scheint aber nicht dem telos der Norm zu entsprechen.

Klausurtaktik

Wie ihr euch bei diesem Streit letztlich in der Klausur entscheidet, ist im besten Sinne des Wortes gleichgültig. Klar, denn beide Seiten haben gute und gewichtige Argumente für sich. Ihr müsst diesen Streit verstehen, euch mit beiden Ansichten auseinandersetzen und vor allem mit den Konsequenzen vertraut machen. Aber ansonsten könnt ihr in der Klausur taktisch vorgehen. Ihr müsst euch überlegen, ob dies ein wesentlicher Schwerpunkt ist oder im SV noch andere Probleme angelegt sind, die eine längere Bearbeitung erfordern. Für Referendare gilt das nicht, diese sollten sich stets nach der Rechtsprechung richten und dementsprechend ihrer Auffassung folgen, wobei die Meinung der Literatur kurz mit entsprechenden Argumenten abgelehnt werden sollte.

Hinweis: Dafür ist übrigens auch für „die Checker“ unter euch eine Lösungsskizze in jedem Fall unausweichlich. Ich habe das auch immer für überbewertet empfunden, weil ich dachte, die besten Einfälle kommen mir sowieso während des Schreibens. Das mag auch eventuell für Anfängerklausuren gelten. Aber der Umfang einer Klausur ist nicht zu unterschätzen. Gerade um eine hohe Punktzahl zu erzielen, sollte man alle Hinweise am Wegesrand auflesen, sie in der Lösungsskizze nach Wichtigkeit und Zusammenhang sortieren und verwerten. Fatal wäre es, wichtige Ideen im Schreibfluss zu vergessen. Im schlimmsten Fall führen verspätete Einfälle zu Querverweisungen des Prüflings, die dann sehr wirr wirken und den Korrektor ermüden und missstimmen. Eine gute Lösungsskizze ist dagegen die halbe Miete. Das habe ich am Anfang meines Studiums am eigenen Leib erfahren müssen.

 4. Vermögensnachteil

Der Vermögensnachteil ist wie der Vermögensschaden beim Betrug und der Vermögensnachteil bei der Untreue zu prüfen. Es ist also ein Vergleich der beiden Vermögenslagen vor und nach der Verfügung anhand den Prinzipien der Gesamtsaldierung unter Berücksichtigung einer etwaigen Schadenskompensation vorzunehmen.

II. Subjektiver Tatbestand

 1. Vorsatz bzgl. I. 1.-5.

Vorsatz meint das Wollen der Tatbestandsverwirklichung in Kenntnis aller objektiven Tatumstände. Hier genügt dolus eventualis. 

 2. Bereicherungsabsicht

Die Bereicherungsabsicht ist genau wie beim Betrug nach § 263 I StGB zu verstehen (st. Rspr. BGH 4 StR 502/10 Rn. 27; BGH NJW 1988, 2623). Daher muss auch hier zwischen Vermögensschaden und dem Vermögensvorteil sog. „Stoffgleichheit“ bestehen. Zudem muss die beabsichtigte Bereicherung rechtswidrig sein. Der Täter darf also keinen fälligen und einredefreien Anspruch haben. Glaubt der Täter einen einredefreien Anspruch zu haben, unterliegt er einem Tatumstandsirrtum i.S.d. § 16 I 1 StGB.

Beispiel: A, B und C randalieren wieder in der Kneipe des O. Sie zerstören das Mobiliar. Sie wollen ihn aber nur verärgern und sich amüsieren. Hier fehlt es an der Absicht der Täter, sich rechtswidrig bereichern zu wollen. Sie wollen nur aus „Spaß an der Freude“ randalieren, ohne sich dabei Vermögenswerte zueignen zu wollen.

III./IV. Rechtswidrigkeit/Schuld

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Anmerkungen

siehe auch: mittlebare Täterschäft und Verbotsirrtum, Beihilfe, Error in persona und aberratio ictus, Aufbau Erlaubnistatbestandsirrtum, Prüfschema Nötigung, Prüfschema Nötigung  und Anstiftung

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