§ 985 BGB – der Herausgabeanspruch

Herausgabeanspruch, Aufbauschema Klausur & Hausarbeit; Problem des Besitzrechtes § 986 BGB (Anwartschaft-, Zurückbehaltungsrecht); Besonderheiten § 985 BGB

Datum
Rechtsgebiet Sachenrecht
Ø Lesezeit 8 Minuten
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Dieses Schema befasst sich mit dem Anspruch des Eigentümers gegen den Besitzer auf Herausgabe gemäß § 985 BGB. Man spricht hier vom sogenannten Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (EBV), auch Vindikationslage genannt.

§ 985 BGB ist ein dinglicher Herausgabeanspruch (= rei vindicatio) und kommt nach ganz herrschender Meinung neben vertraglichen Ansprüchen zur Anwendung.

Nicht vergessen werden darf aber, dass die vertraglichen Ansprüche stets vor dem Herausgabeanspruch aus § 985 BGB zu prüfen sind. Denn aus den vertraglichen Vereinbarungen ergeben sich häufig Besonderheiten für die Prüfung des § 985 BGB.          

A. Grobes Prüfungsschema

I. Der Anspruchsberechtigte muss Eigentümer sein.

II. Der Anspruchsgegner muss Besitzer sein.

III. Der Besitzer darf kein Recht zum Besitz gemäß § 986 BGB haben.

IV. Der Besitzer darf keine berechtigten Einreden geltend machen.

V. Rechtsfolge: Anspruch auf Herausgabe der Sache

B. Prüfungsschema mit Problemschwerpunkten

I. Anspruchsberechtigter = Eigentümer

Soweit in der Klausur zu prüfen ist, wem das Eigentum im Sinne des § 985 BGB zusteht, erfolgt diese Prüfung „historisch-chronologisch“. D.h. man beginnt mit einem feststellenden Satz, wem ursprünglich das Eigentum an der Sache zustand. Sodann arbeitet man Punkt für Punkt in der zeitlichen Reihenfolge ab, inwiefern sich die Eigentumsverhältnisse verändert haben könnten.

Beispiel:

A hat an B unter Eigentumsvorbehalt ein Klavier veräußert. Zwischen A und B wird vereinbart, dass B den Kaufpreis von 2.400 Euro in monatlichen Raten zu je 200 Euro abbezahlt. Ein Jahr später zahlt B die letzte Rate. Unterdessen hatte B das Klavier für 3 Monate an den C verliehen. Nach Ablauf der Leihdauer will dieser nun das Klavier nicht zurückgeben.

(1) B könnte gegen C ein Herausgabeanspruch aus § 985 BGB zustehen.

(a) Dann müsste B zunächst Eigentümer des Klaviers sein.

(aa) Ursprünglich war A Eigentümer des Klaviers.

(bb) Durch die Übergabe gemäß § 929 BGB ist B zunächst nicht Eigentümer des Klaviers geworden, da die Einigung durch den Eigentumsvorbehalt unter der aufschiebenden Bedingung vollständiger Kaufpreiszahlung stand (§§ 929, 158 I BGB).

(cc) B ist jedoch mit der Zahlung der letzten Rate Eigentümer des Klaviers geworden, da sich insoweit die Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung erfüllt hat. Ferner liegen die anderen Voraussetzung einer Übereignung nach § 929 BGB (Übergabe, Einigsein bei Übergabe sowie die Berechtigung des Veräußerers) vor.

(b)  B ist somit Eigentümer des Klaviers.

(c) C ist Besitzer des Klaviers.

(d) C hat kein Recht zum Besitz gemäß § 986 BGB, da die Leihdauer abgelaufen ist.

(2) B hat folglich einen Herausgabeanspruch gegen C gemäß § 985 BGB.

Hinweis: Wichtig und in jeder Klausur zu überdenken ist die Tatsache, dass das Eigentum sowohl rechtsgeschäftlich (z.B. §§ 929 ff., §§ 873, 925 BGB) als auch kraft Gesetzes (z.B. §§ 937 ff., 1922 BGB) erworben werden kann.

Der Eigentümer darf das Eigentum nicht wieder verloren haben.

Auch hier ist Vorsicht geboten. Wie bereits erwähnt muss die Eigentümerstellung historisch-chronologisch geprüft werden. Das bedeutet, dass der Anspruchsteller zum Zeitpunkt des Herausgabeverlangens tatsächlich Eigentümer sein muss. Eine vormalige Eigentümerstellung hat keine Bedeutung, sofern diese wieder verloren wurde.

II. Anspruchsgegner = Besitzer

Der Anspruchsgegner muss Besitzer sein. Hierbei sind zwei Arten des Besitzes voneinander zu unterscheiden: zum einen der unmittelbare und zum anderen der mittelbare Besitz.

  • Unmittelbarer Besitzer ist, wer gemäß §§ 854 I, 855 BGB die tatsächliche Gewalt über eine Sache hat (originärer Besitz) oder wer Erbschaftsbesitzer gemäß §§ 857, 1922 BGB ist (derivativer Besitz).
  • Auch der mittelbare Besitzer nach §§ 868, 871 BGB kann Anspruchsgegner sein. Besonderheiten ergeben sich hier bei der Rechtsfolge (s.u.)!

III. Besitzer hat kein Recht zum Besitz gemäß § 986 BGB

Trotz des Wortlauts „verweigern“ ist § 986 BGB nach herrschender Meinung eine Einwendung.

1. Besitzrecht aus § 986 I BGB

Bei dem Besitzrecht aus § 986 I BGB ist zu unterscheiden zwischen dem eigenen Besitzrecht gemäß § 986 I 1 1. Fall BGB und dem abgeleiteten Besitzrecht gemäß § 986 I 1 2. Fall BGB. Ein Recht zum Besitz im Sinne von § 986 I BGB kann sich z.B. aus Vertrag, aber auch aus dinglichem Recht ergeben (z.B. Nießbrauch, vgl. § 1036 I BGB).

2. Besitzrecht aus § 986 II BGB

Der Besitzer hat grundsätzlich nur gegenüber dem alten Eigentümer ein Besitzrecht. Nach § 986 II BGB darf er bei einer Übereignung nach § 931 BGB dieses jedoch auch dem neuen Eigentümer entgegenhalten. § 986 II BGB liegt eine mit § 404 BGB vergleichbare Rechtskonstruktion zugrunde.

Problem:

Umstritten ist, ob ein Anwartschaftsrecht ein Recht zum Besitz im Sinne von § 986 I, II BGB darstellt.

Ist der Veräußerer Eigentümer, kommt es auf das Problem nicht an. Denn ein Recht zum Besitz ergibt sich bereits aus dem Kausalgeschäft (z.B. Kaufvertrag), welches auch bei zwischenzeitlicher Veräußerung gemäß §§ 929, 931 BGB dem Erwerber gemäß § 986 II BGB entgegengehalten werden kann.

Dagegen gewinnt der Streit an Bedeutung, wenn das Anwartschaftsrecht gutgläubig vom Nichtberechtigten erworben wurde. Denn hier kann der Käufer den Kaufvertrag mit dem Nichtberechtigten als relatives Recht dem Eigentümer nicht entgegenhalten.

Beispiel:

F verwahrt für K Möbel, die dieser unter Eigentumsvorbehalt erworben hat. Von diesen Möbeln veräußert F ein Sofa unter Eigentumsvorbehalt an X. Als der wahre Eigentümer E davon erfährt, verlangt er von X das Sofa gemäß § 985 BGB heraus. Zu Recht?

  • Erste Ansicht: Das Anwartschaftsrecht gewährt nur ein relatives Recht zum Besitz mit der Folge, dass das Anwartschaftsrecht kein Recht zum Besitz im Sinne des § 986 I, II BGB ist.

Dieser Ansicht folgend müsste X das Sofa an E herausgeben.

Argumente: Im Gegensatz zu einem dinglichen Recht ist das Anwartschaftsrecht von dem schuldrechtlichen Grundgeschäft abhängig. Denn es besteht nur so lange, wie der Bedingungseintritt möglich ist. Weiter ist der Anwartschaftsberechtigte nicht schutzwürdig, da er durch die Zahlung des Restkaufpreises den Erwerb des Volleigentums einseitig herbeiführen und damit den Anspruch des bisherigen Eigentümers aus § 985 BGB vernichten kann. Wenn allerdings der Eigentumserwerb unmittelbar bevorsteht, soll der dolo-agit-Einwand greifen.

  • Zweite Ansicht: Das Anwartschaftsrecht gewährt ein absolutes, gegen jedermann wirkendes dingliches Recht mit der Konsequenz, dass das Anwartschaftsrecht ein Recht zum Besitz gemäß § 986 I, II BGB darstellt. Hiernach müsste X das Sofa nicht herausgeben.

Argumente: Dem Anwartschaftsberechtigten ist das im Eigentum enthaltene Recht zum Besitz und zur Nutzung schon übertragen worden. Dieses Recht genießt ähnlich wie andere beschränkt dingliche Nutzungs- und Verwertungsrechte (Nießbrauch gem. §§ 1030, 1065 BGB; Pfand gem. § 1227 BGB) eigentumsähnlichen Schutz. Es ist nicht einzusehen, warum der Anwartschaftsberechtigte zur Abwehr des Herausgabeverlangens des Eigentümers gezwungen sein sollte, den Kaufpreis sofort vollständig an den Vorbehaltsverkäufer zu entrichten. Zumal der Vorbehaltsverkäufer in solchen Fällen ja nicht identisch mit dem Eigentümer ist, sonst ergäbe sich ein Besitzrecht bereits aus dem Kaufvertrag gemäß §§ 433, 449 I, II BGB.

Problem:

Weiterhin ist umstritten, ob ein Zurückbehaltungsrecht (z.B. aus §§ 273, 1000 BGB) als Recht zum Besitz im Sinne von § 986 I BGB anzusehen ist oder aber als selbstständiges Gegenrecht (Prüfungspunkt „Anspruch einredebehaftet“) geltend zu machen ist.

Die herrschende Meinung nimmt letzteres an: es wäre unbillig, wenn allein die Existenz eines Zurückbehaltungsrechtes die Ansprüche des Eigentümers aus den §§ 987 ff. BGB sperren könnte.

Ein Recht zum Besitz gemäß § 986 BGB kann sich aber aus einer berechtigten GoA ergeben.

Beachte: Die GoA verschafft nur dann ein Recht zum Besitz, wenn schon die Inbesitznahme der Sache im Rahmen einer berechtigten GoA erfolgt. Liegt dagegen eine Vindikationslage vor und nimmt der Besitzer nun ein Geschäft an der Sache vor, das im Interesse des Eigentümers liegt, sind die Regeln des EBV vorrangig (insbesondere §§ 994 ff. BGB). Die GoA ist hier nach den Grundsätzen der Abschlussfunktion ausgeschlossen (Sperrwirkung des EBV).

Aus diesem Grund empfiehlt es sich, das EBV vor der GoA zu prüfen. Andernfalls liefe man Gefahr die Sperrung der GoA zu übersehen. Umgekehrt kann einem bei der Vorwegprüfung des EBV nichts passieren, soweit man in der Klausur daran denkt, dass die berechtigte GoA ein Recht zum Besitz im Sinne von § 986 I BGB sein könnte.

3. Erlöschen von privaten und dinglichen Rechten durch lastenfreien Erwerb nach § 936 BGB

Vertragliche und gesetzliche Pfand- und Nießbrauchrechte erlöschen unter den Voraussetzungen des § 936 BGB.

IV. Besitzer darf keine berechtigten Einreden geltend machen

  • Zurückbehaltungsrecht gemäß §§ 1000, 994 ff. BGB bei Verwendungen des Besitzers
  • Einrede der Verjährung gemäß §§ 214, 194 BGB

V. Rechtsfolge: Anspruch auf Herausgabe der Sache

  • Gegen den unmittelbaren Besitzer: Anspruch auf Herausgabe des unmittelbaren Besitzes an der Sache
  • Gegen den mittelbaren Besitzer: Hierbei hat der Anspruchsteller einen Anspruch auf Abtretung des Herausgabeanspruchs des mittelbaren Besitzers gegenüber dem unmittelbaren Besitzer (beachte § 894 ZPO!). Nach herrschender Meinung kann der Eigentümer wahlweise auf Herausgabe der Sache klagen, wenn der mittelbare Besitzer die Sachen besorgen kann.

C. Besonderheiten

  • Der Anspruch aus § 985 BGB ist nicht selbstständig abtretbar, da er untrennbar mit dem Eigentum verbunden ist.
  • Auf ihn sind – anders als auf die §§ 987 ff. BGB – die Regeln des allgemeinen Schuldrechts nicht anwendbar. Denn er ist ein dinglicher Anspruch gegenüber jedermann und kein Schuldverhältnis.
  • In der Zwangsvollstreckung ist § 985 BGB nicht anwendbar. Hier ist die Vorschrift des § 771 ZPO vorrangig.
  • Wichtig: Neben § 985 BGB treten in der Klausur besonders häufig Ansprüche aus § 1007 I, II BGB sowie § 861 BGB auf. Diese werden häufig vergessen. Prägen Sie sich diese Verbindung daher bitte besonders intensiv ein.
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 Anmerkungen

siehe auch: Anspruchsgrundlagen im EBV; Die EBV-Klausur; Anspruchskonkurrenzen BGB-Herausgabeanspruch

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