Der Tatbestand im Strafrecht

Der Tatbestand ist Teil des dreistufigen Deliktsaufbaus und stellt damit ein wesentliches Element der strafrechtlichen Prüfung dar. Dieser Beitrag soll in gebotener Kürze auf die verschiedenen Auffassungen, die bezüglich des Tatbestandsbegriffs existieren, aufmerksam machen. Zudem bietet dieser Text Wiederholungsfragen und eine Checkliste, um einen gefestigten Lernerfolg erzielen zu können.

Datum
Rechtsgebiet Strafrecht
Ø Lesezeit 6 Minuten
Foto: Pierre Bamin/unsplash.com

A. Die verschiedenen Begriffsbedeutungen im Überblick

1. Der Tatbestand im Strafrecht im weiteren Sinne

Unter diesem Begriff sind zunächst alle Voraussetzungen, die für die Strafbarkeitsbeurteilung maßgeblich sind, erfasst. Zum Tatbestand im Strafrecht im weiteren Sinne zählen demnach der Unrechtstatbestand, die Rechtswidrigkeit, die Schuld sowie die objektive Bedingung der Strafbarkeit.

2. Tatbestand im engeren Sinne

Der Tatbestand im engeren Sinne erfasst hingegen lediglich den Unrechtstatbestand. Dementsprechend sind Rechtswidrigkeit, Schuld etc. nicht erfasst. Es kommt also noch nicht zu einem endgültigen Unrechtsurteil. Diese Entscheidung erfolgt vielmehr erst auf der Rechtswidrigkeitsebene.

★ Wichtiger Hinweis

Dabei kommt die Auslesefunktion im Strafrecht zum Tragen. Es wird also beobachtet, welches Sozialhandeln grundsätzlich mit sozialschädlichen Folgen verbunden ist. Solche Handlungen werden sodann zu einem Tatbestand zusammengefasst. Und dieser wird schließlich unter Strafe gestellt.

3. Der Gesamtunrechtstatbestand

Hierbei geht man wiederum von einem anderen Tatbestandsbegriff aus. So sind alle unrechtsbildenden und -ausschließenden Elemente (Merkmale) auf einer Wertungsebene zu behandeln. Sie bilden also den Gesamtunrechtstatbestand. Ein solches Verständnis orientiert sich dabei an der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen. Diese Auffassung hätte demnach einen zweistufigen Deliktsaufbau zur Folge.

★ Wichtiger Hinweis

Die h.M. verneint allerdings die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen. Damit ist stets der dreistufige Deliktsaufbau maßgeblich. Dieser ist also auch in strafrechtlichen Klausuren anzuwenden.

B. Merkmale innerhalb eines Tatbestandes im Überblick

I. Deskriptive Tatbestandsmerkmale

Deskriptive Tatbestandsmerkmale sind beschreibende Merkmale. Sie bringen also durch eine simple Beschreibung zum Ausdruck, was tatbestandlich nicht erlaubt ist. Hierbei bedarf es demnach keiner zusätzlichen, (juristisch) wertenden Maßnahme.

✱ Fallbeispiel

§ 242 StGB: „beweglich“

II. Normative Tatbestandsmerkmale

Bei normativen Merkmalen hingegen bedarf es ferner einer zusätzlichen, wertenden Maßnahme. So kann nur durch ein zusätzliches wertendes Urteil festgelegt werden, was unter tatbestandlichem Schutz stehen soll.

✱ Fallbeispiel

Der Begriff der „Fremdheit“ (§ 242 StGB) ergibt sich aus dem BGB.

★ Wichtiger Hinweis

Deskriptive und normative Merkmale können dabei nicht immer scharf voneinander abgegrenzt werden. Denn auch deskriptive Merkmale beinhalten oftmals wertungsbedürftige Elemente.

III. Objektive Merkmale

Objektive Tatbestandsmerkmale sind äußere Merkmale. Es geht also um Umstände, die das äußere Erscheinungsbild einer Tat prägen (= für die Außenwelt wahrnehmbare Geschehen).

✱ Fallbeispiel

Diebstahl, § 242 StGB: Objektive Tatbestandsmerkmale = fremd, beweglich, Sache, Wegnahme. Diese beziehen sich also allesamt auf das äußere Erscheinungsbild der Tat

★ Wichtiger Hinweis

Solche Tatbestandsmerkmale können dabei deskriptiv oder auch normativ geprägt sein.

IV. Subjektive Merkmale

Diese beschäftigen sich mit dem geistigen Innenleben des Täters. Dabei treten sie zum objektiven Tatbestand hinzu.

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✱ Fallbeispiel

Beispiele für subjektive Tatbestandsmerkmale:

  • Vorsatz
  • überschießende Innentendenz
★ Wichtiger Hinweis

Eine zentrale Rolle spielt hier also die psychisch-seelische Vorstellungswelt des Täters.

✱ Fallbeispiel

Totschlag, § 212 StGB – A sieht B und sticht diesen ab.

Hierbei muss sich nun der Vorsatz (Wissen und Wollen) auf sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale beziehen. Demnach ist also die innere Beziehung des Täters im Hinblick auf das äußere Tatgeschehen (= A sticht B ab) zu überprüfen.

★ Wichtiger Hinweis

Dem Vorsatz wohnt eine gewisse Doppelfunktion inne.

Erste Funktion: So ist der Vorsatz auf Tatbestandsebene als Verhaltensform zu verstehen. Er beschreibt dabei die innere Beziehung des Täters zum äußeren Tatgeschehen.

Zweite Funktion: Auf der Schuldebene ist der Vorsatz sodann als Träger des Gesinnungsunwertes zu betrachten. Hierbei geht es also um die fehlende Rechtsgesinnung.

C. Einordnung der objektiven Bedingung der Strafbarkeit

Auch abstrakte Gefahren können unter Umständen strafwürdig sein. Mit der objektiven Bedingung verfolgt der Gesetzgeber daher das Ziel, eben jene sanktionieren zu können. Eine objektive Bedingung stellt also ein zweckmäßiges Mittel dar.

✱ Fallbeispiel

§ 231 StGB, Beteiligung an einer Schlägerei. So lässt sich bei einer Massenschlägerei im Nachhinein kaum nachvollziehen, wer konkret für die schweren Folgen verantwortlich ist. Daher bedient sich der Gesetzgeber hier des Instruments der objektiven Bedingung der Strafbarkeit. Auf diese Weise gelingt es ihm nämlich auch hinsichtlich solcher Gefahren adäquat reagieren zu können. Eine Sanktion ist also möglich.

★ Wichtiger Hinweis

Ob tatsächlich eine objektive Bedingung oder ein objektives Tatbestandsmerkmal vorliegt, lässt sich dabei nur durch Auslegung ermitteln.

D. Wiederholungsfragen zum Tatbestand im Strafrecht

Frage 1: In einer Klausur kann man einen zweistufigen Deliktsaufbau wählen. Schließlich existieren verschiedene Auffassungen hinsichtlich des Tatbestandsbegriffes. Richtig oder falsch?

Frage 2: Subjektive Tatbestandsmerkmale sind äußere Merkmale, die das Erscheinungsbild der Tat prägen. Richtig oder falsch?

Frage 3: Die objektive Bedingung der Strafbarkeit zielt auf konkrete Gefahren ab. Richtig oder falsch?

Frage 4: Normative Merkmale benötigen ein zusätzliches, wertendes Urteil. Denn erst hierdurch wird festgelegt, was tatbestandlich geschützt sein soll. Richtig oder falsch?

Frage 5: Eine stets scharfe Abgrenzung zwischen deskriptiven und normativen Merkmalen vorzunehmen, ist nicht machbar. Richtig oder falsch?

Frage 6: Es existieren lediglich zwei verschiedene Auffassungen in Bezug auf den Begriff des Tatbestandes. Richtig oder falsch?

E. Lösungen

Frage 1: Falsch. So gilt in Klausuren stets der dreistufige Deliktsaufbau (Tatbestand, Rechtswidrigkeit, Schuld).

Frage 2: Falsch. So handelt es sich hierbei vielmehr um Merkmale, die sich mit dem geistigen Innenleben des Täters beschäftigen. Diese treten dabei zum objektiven Tatbestand hinzu. Zentrale Rolle spielt hier also die psychisch-seelische Vorstellungswelt des Täters.

Frage 3: Falsch. Denn mit der objektiven Bedingung bezweckt der Gesetzgeber vielmehr abstrakte Gefahren, die er als strafwürdig ansieht, zu sanktionieren.

Frage 4: Richtig. So kann nur durch ein zusätzliches, wertendes Urteil festgelegt werden, was tatbestandlich geschützt sein soll.

Frage 5: Richtig. Denn deskriptive Merkmale beinhalten oftmals wertungsbedürftige Elemente.

Frage 6: Falsch. So existieren hinsichtlich des Tatbestandsbegriffes mehrere Auffassungen.

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Das Wichtigste im Überblick: Checkliste

  • Es existieren unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich des Tatbestandsbegriffes. So unterscheidet man zwischen dem Tatbestand im weiteren Sinne, im engeren Sinne und dem Gesamtunrechtstatbestand.
  • In Klausuren ist der dreistufige Deliktsaufbau zu wählen.
  • Eine Unterscheidung zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen ist oftmals nicht wirklich möglich.
  • Man unterscheidet ferner zwischen objektiven und subjektiven Merkmalen.
  • Unter objektiven Merkmalen versteht man dabei äußere Merkmale, die das Erscheinungsbild hinsichtlich einer Tat prägen (= für die Außenwelt wahrnehmbares Geschehen).
  • Subjektive Merkmale sind hingegen Merkmale, die sich mit dem geistigen Innenleben des Täters beschäftigen. Eine zentrale Rolle nimmt dabei die psychisch-seelische Vorstellungswelt des Täters ein.
  • Objektive Bedingung der Strafbarkeit: Sanktionierung abstrakter Gefahren.
  • Ob tatsächlich eine objektive Bedingung oder ein objektives Tatbestandsmerkmal vorliegt, ist dabei durch Auslegung zu ermitteln.
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