Klausur Gesellschaftsrecht

Eine Klausur zum Handels- und Gesellschaftsrecht mit klassischen Problemen und Bezügen zum Schuldrecht in der ersten juristischen Prüfung

Datum
Rechtsgebiet Gesellschaftsrecht
Ø Lesezeit 10 Minuten
Foto: Mink Mingle/Unsplash.com

Sachverhalt

Bernd aus München ist Inhaber der bundesweitweit tätigen Bäckereikette „Knusper e.K.“. Im Februar erteilt er seinem Angestellten Paul mündlich Prokura, ohne dies im Handelsregister eintragen zu lassen. Als Bernd erfährt, dass P zwischenzeitlich mehrere Gewalttaten begangen hat, kündigt er ihm acht Wochen später wirksam und entzieht die Prokura mündlich, wobei auch dies nicht in das Handelsregister eingetragen wird.

Einen Tag darauf bestellt Paul dennoch für die Knusper e.K. bei der R-GmbH einen Backofen für eine der Bäckereien zum Preis von 5.000,- €. In den wirksam einbezogenen AGB der R-GmbH heißt es, dass der Ofen innerhalb dreier Tage auf seine Fehlerfreiheit zu untersuchen ist; „ansonsten verliert der Käufer die Gewährleistung“.

Ebenfalls an diesem Tag geht er zu seiner Hausbank, die ihm wegen eines Kredits mit der Zwangsvollstreckung droht, und unterschreibt ein Vertragsformular der Hausbank im Namen des Knusper e.K., nach welchem die Bäckerei, seine Schulden befreiend übernimmt. Bei der Unterzeichnung verwendet er das Kürzel „ppa.“.

Nach drei Wochen bemerkt Bernd, dass der Ofen, welcher inzwischen geliefert wurde, einen Fehler enthält, der ihn unbrauchbar macht. Bernd setzt erst nach einigem Abwarten der R-GmbH erfolglos eine Frist zur Nacherfüllung. Als die R-GmbH den Kaufpreis fordert, ist Bernd über diese Frechheit erzürnt. Er teilt mit, die R-GmbH könne den Ofen wieder zurücknehmen. Jedenfalls bekomme sie kein Geld von ihm.

Kurz darauf einigt sich Bernd mit seinen Mitarbeiterinnen Tara und Marie, dass diese als gleichrangige Teilhaber in sein Bäckereiunternehmen einsteigen. Daraufhin bringen beide jeweils 20.000,- € ein. Ab dann firmiert die Bäckerei als „Knusper Company“. Weitere drei Wochen später verlässt Bernd das Unternehmen und scheidet aus.

Frage 1: Hat eine Klage der R-GmbH auf Zahlung von 5.000,- € gegen Bernd persönlich Erfolg?

Frage 2: Hat die R-GmbH gegen Tara und Marie jeweils einen Anspruch auf Zahlung von 5.000,- €?

Frage 3: Kann die Hausbank des Paul von Bernd Rückzahlung des Kredits verlangen?

Bearbeitervermerk: In einem Gutachten, das auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen eingeht, sind die vorliegenden Fragen in 300 Minuten zu beantworten.

Gutachten

Frage 1: Erfolgsaussichten der Klage der R-GmbH auf Zahlung von 5.000,- € gegen Bernd

Die Klage der R-GmbH (im Folgenden: R) gegen Bernd (im Folgenden: B) hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

A. Zulässigkeit

I. Das Gericht müsste sachlich und örtlich zuständig sein.

  1. Die sachliche, also erstinstanzliche, Zuständigkeit richtet sich nach §1 ZPO, §§23, 71 GVG. Eine streitwertunabhängige Zuweisung ist nicht ersichtlich. Der Zuständigkeitsstreitwert beträgt hier 5000 Euro. Folglich ist gemäß §1 ZPO; §23 Nr. 1 GVG noch das AG zuständig (vgl. Wortlaut „nicht übersteigt“).
  2. Der Gerichtsstand ergibt sich aus den §§12 ff. ZPO. Hier ist gemäß §13 ZPO das AG München zuständig.

    II. B ist gemäß §50 I ZPO, §1 BGB parteifähig. R ist gemäß §50 I ZPO, 13 I GmbHG parteifähig.

    III. B ist gemäß §52 I ZPO, §§104 ff. BGB e.c. prozessfähig. R ist gemäß §52 I ZPO, §§13 I, 35 I 1 GmbHG prozessfähig, wenn sie sich vertreten lässt.

    IV. Die Klage ist zulässig.

B. Begründetheit

Die Klage ist begründet, wenn die R gegen B einen Anspruch auf Zahlung von 5000 Euro hat.

I. R könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung von 5000 Euro gemäß §433 II BGB haben.

  1. R und B müssten dazu einen Kaufvertrag geschlossen haben.

    a) Es müsste eine Einigung nach den §§145 ff. BGB vorliegen.

    aa) Mangels entgegenstehender Angaben im Sachverhalt ist davon auszugehen, dass R von ihrem Geschäftsführer gemäß §§164 ff. BGB, §35 I 1 GmbHG ordnungsgemäß vertreten wurde.

    bb) B selbst hat keine Willenserklärung abgegeben. Es könnte jedoch sein, dass eine Erklärung des Paul (im Folgenden: P) gemäß §164 I 1 BGB unmittelbar für und gegen B wirkt.

    (1) P hat im Rahmen der zulässigen Stellvertretung eine eigene Willenserklärung i.S.d. §164 I 1 BGB abgegeben.

    (2) P hat den Ofen für B bestellt, sodass das Offenkundigkeitsprinzip eingehalten wurde, §164 I 1, II BGB.

    (3) P müsste mit Vertretungsmacht gehandelt haben. In Betracht kommt eine Vollmacht i.S.d. §166 II 1 BGB, in Form der Prokura, welche gemäß §48 I HGB erteilt wird, sodass sie keine gesetzliche Vertretungsmacht darstellt.

    (a) Gemäß §167 I, II BGB, der nach Art. 2 I EGHGB auf die Prokura Anwendung findet, ist die Erteilung der Prokura formlos, also auch mündlich, möglich.

    (b) Gemäß §53 I 1 HGB ist die Prokura zur Eintragung ins Handelsregister anzumelden. Dass dies vorliegend nicht geschehen ist, hat, wie aus dem Wortlaut des §53 I 1 HGB folgt („die Erteilung…. ist anzumelden“), auf die Wirksamkeit der Prokura keinen Einfluss.

    (c) Damit bestand zunächst Prokura.

    (d) Diese wurde jedoch acht Wochen später entzogen, §52 I HGB.

    Auch hier ist die Nichteintragung in das Handelsregister unschädlich.

    (e) Eine Vertretungsmacht war aus der Prokura zur Zeit des Geschäfts nicht mehr gegeben.

    (f) Möglicherweise muss sich B gemäß §15 I HGB so behandeln lasse, als ob die Prokura noch bestünde, sog. negative Publizität des Handelsregisters.

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( aa) Der Widerruf der Prokura ist eine einzutragende Tatsache i.S.d. §15 I HGB, was aus §53 I 1, II HGB folgt.

(bb) Fraglich ist, ob dies auch für Fälle der sekundären Unrichtigkeit gilt, also wenn schon die Erteilung der Prokura nicht eingetragen wurde.

Da die Erteilung der Prokura nicht in das Handelsregister eingetragen wurde und die Prokura entzogen wurde, ist das Handelsregister nun richtig. Folglich scheint eine Anwendbarkeit des §15 I HGB nicht sinnvoll.

Dafür, dass §15 I HGB auch bei der sekundären Unrichtigkeit gilt, spricht, dass gerade auf das Schweigen des Handelsregisters vertraut werden darf. Dadurch, dass P über mehrere Wochen als Prokurist für P agierte, entstand überdies ein Rechtsschein, welcher durch die Eintragung des Widerrufs in das Handelsregister beseitigt werden muss.

Daher bleibt §15 I HGB anwendbar.

(cc) Der Widerruf der Prokura ist der R nicht entgegenzuhalten, sodass P so zu behandeln ist, als hätte er Prokura gehabt.

(g) Gemäß §49 I HGB ermächtigt die Prokura grundsätzlich zur Vornahme von allen Geschäften eines Handelsgewerbes, also auch den Erwerb eines Ofens.

(4) Daher handelte P mit Vertretungsmacht.

cc) Eine Einigung ist gegeben.

b) Wirksamkeitshindernisse sind nicht ersichtlich.

  1. Der entstandene Anspruch könnte durch einen Rücktritt gemäß §§323 I, §437 Nr. 2 BGB erloschen sein. Die Wirkung des Rücktritts als Erlöschensgrund ist gesetzlich nicht normiert, jedoch anzuerkennen, da ansonsten Leistungen, die eben erst ausgetauscht wurden, nach §346 I BGB herausgegeben werden müssten.

    a) Es müsste ein Rücktrittsrecht bestehen

    aa) §437 BGB ist anwendbar, da ein Kaufvertrag vorliegt, der Ofen mangelhaft ist und ein Gefahrübergang nach §446 I BGB vorlag.

    bb) B hat erfolglos eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt, vgl. §323 I BGB.

    cc) Der Rücktritt könnte wegen der AGB der R ausgeschlossen sein.

    (1) Ausweislich des Sachverhalts wurden die AGB i.S.d. §305 I 1 BGB wirksam einbezogen. Jedoch sind die Einschränkungen des §310 I 1 BGB hinsichtlich der §§308, 309 BGB zu beachten, da R und B, der den Ofen für seine Bäckerei nutzen soll, jeweils Unternehmer i.S.d. §14 BGB sind. Demnach gelten die §308 f. BGB nur im Rahmen des §307 I BGB, vgl §310 I 2 BGB.

    (2) In Betracht kommt ein Verstoß gegen §307 I BGB. Die starre Ausschlussfrist stellt eine Abweichung von dem Unverzüglichkeitserfordernis des §377 I HGB dar. Dieser stellt auf die Schuldhaftigkeit des Zögerns ab. Die verwendete Klausel dagegen schließt die Gewährleistung stets aus. Dies ist unangemessen, sodass die Klausel der Inhaltskontrolle nicht standhält.

    (3) Fraglich ist, welche Rechtsfolgen sich hieraus ergeben.

    (aa) Ein sog. blue-pencil-test, i.S.e. Wegstreichens sprachlich teilbarer Klauseln, ist hier nicht möglich.  

    (bb) Eine geltungserhaltende Reduktion des Inhalts, dass die Klausel zu einem unverzüglichen Rügeerfordernis führt, ist unzulässig. Hiergegen spricht der klare Wortlaut des §307 I 1 BGB („unwirksam“) und der präventive Zweck der §§ 305 ff. BGB, den Rechtsverkehr vor unwirksamen Klauseln zu schützen. Überdies spricht das Transparenzgebot des § 307 I 2 BGB gegen eine geltungserhaltende Reduktion, da die Klausel erst nach einer gerichtlichen Klärung transparent wäre.

    (cc) Die Klausel ist deshalb unwirksam. Der Vertrag bleibt im Übrigen wirksam, § 306 I BGB, und §377 I HGB ist gemäß §306 II BGB als dispositives Recht heranzuziehen.

    (4) Wegen der AGB ist der Anspruch nicht ausgeschlossen.

    (5) Gemäß §377 III HGB ist der Anspruch jedoch ausgeschlossen, da B vor seinem Nacherfüllungsverlangen grundlos einige Zeit abwartete.

    b) Der Rücktritt ist nicht wirksam.

    II. Der Anspruch auf Zahlung von 5000 Euro besteht. Dass Bernd eine OHG gründete und aus dieser später ausschied, ändert hieran nichts, vgl. auch §160 HGB.

    C. Die Klage hat Erfolg.

     

Frage 2: Anspruch der R-GmbH gegen Tara und Marie auf Zahlung von 5.000,- €

A. R könnte gegen Tara (im Folgenden: T) und Marie (im Folgenden: M) als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Zahlung von 5000 Euro gemäß §433 II BGB haben.

I. R hat mit T und M selbst keinen Kaufvertrag geschlossen.

II. Es könnte sein, dass ein Kaufvertrag zwischen R und B besteht, der einen Anspruch gegen T und M begründet. Dazu müssten T und M gemäß §28 I 1 HGB in das Unternehmen des B als persönlich haftende Gesellschafter eingetreten sein.

  1. T und M sind als Gesellschafter in die damit gegründete OHG eingetreten. Sie haben ihre Einlagen geleistet. Eine OHG i.S.d. §105 I HGB liegt vor.
  2. Nach §128 S. 1 HGB haften T und M überdies persönlich als Gesamtschuldner, §421 BGB.

B. R hat gegen T und M als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Zahlung von 5000 Euro.

Frage 3: Anspruch der Hausbank gegen Bernd auf Rückzahlung des Kredits

A. H könnte gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung des Kredits gemäß §488 I 2 BGB haben

I. Dazu müsste zwischen H und B ein Darlehensvertrag i.S.d. §488 I BGB gegeben sein.

  1. Selbst haben sich H und B nicht geeinigt. Doch liegen die Voraussetzungen der Stellvertretung wie oben, grundsätzlich vor.
  2. P könnte jedoch die Grenzen seiner Vertretungsmacht überschritten haben.

    a) Grundsätzlich umfasst eine Prokura auch eine befreiende Schuldübernahme.

    b) Jedoch könnte §181 BGB entgegenstehen.

    In Betracht kommt hier ein Fall des sog. Selbstkontrahierens i.S.d. §181 Fall 1 BGB. Dies meint den Fall, dass jemand für sich selbst und als Vertreter eines anderen mit sich selbst einen Vertrag schließt.

    Hier handelte P als Vertreter des B, wie sich aus dem Kürzel „ppa.“ ergibt.

    P handelte nicht für sich selbst, da er ein Vertragsformular der Bank H über eine befreiende Schuldübernahme unterzeichnete. Folglich liegt Vertrag zwischen P und H, also ein Fall des §414 BGB, nicht jedoch des §415 BGB, vor.

    Somit scheidet §181 BGB aus.

    c) Eine Analogie zu §181 BGB ist ebenfalls abzulehnen, als dieser eine formale Ordnungsvorschrift darstellt, für die ein Interessenkonflikt weder erforderlich noch hinreichend ist.

    d) Es könnte ein allgemeiner Missbrauch der Vertretungsmacht vorliegen.

    aa) In Betracht kommt ein Fall des sog. kollusiven Zusammenwirkens, sodass gemäß §138 I BGB das Geschäft nichtig wäre. Allerdings handelte H nicht bewusst zu Lastend es B. Die Kollusion scheidet folglich aus.

    bb) Es könnte ein Fall der objektiven Evidenz vorliegen.

    (1) P müsste objektiv pflichtwidrig gehandelt haben.

    Arbeitsvertragliche Pflichten kommen vorliegend nicht mehr in Betracht, da der Arbeitsvertrag zur Zeit des Geschäfts bereits gekündigt worden war. P hat jedoch die nachvertragliche Pflicht, seinen ehemaligen Arbeitgeber nicht zu schädigen, verletzt, indem er die Schuldübernahme unterzeichnete. Es liegt ein Fall der sog. culpa post contractum finitum vor, also eine Pflichtverletzung i.S.d. §241 II BGB vor.

    (2) Bezüglich dieser Pflichtwidrigkeit befand sich Hs Stellvertreter (vgl. §166 I BGB) zumindest in grob fahrlässiger Unkenntnis, als er erkennen hätte müssen, dass die Schuldübernahme durch den Arbeitgeber zu Gunsten des Stellvertreters nicht rechtens sein kann.

    (3) Da P mit Nachteilszufügungsabsicht handelte, kann dahingestellt bleiben, ob diese erforderlich ist.

    (4) Ein Fall der objektiven Evidenz liegt vor.

    cc) P kann sich folglich nicht auf seine Vertretungsmacht berufen.

    II. Mangels Vertretungsmacht ist keine Einigung zwischen B und H gegeben.

B. H hat gegen B keinen Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens gemäß §488 I 2 BGB.

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