Untätigkeitsklage, Art. 265 AEUV

Verfahren im Europarecht, Schemata zum Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 265 AEUV, die Untätigkeitsklage

Datum
Rechtsgebiet Europarecht
Ø Lesezeit 5 Minuten
Foto: Peter Fuchs/Shutterstock.com

Einleitung:

Dieser Artikel befasst sich mit der Untätigkeitsklage. Daneben gibt es im Europarecht noch das Vertragsverletzungsverfahren in Form der Aufsichtsklage und der Staatenklage, die Nichtigkeitsklage und das Vorabentscheidungsverfahren.

Im Folgenden wird die Untätigkeitsklage kurz dargestellt und anhand eines Prüfungsschemas genauer aufgearbeitet.

A. Die Untätigkeitsklage nach Art. 265 AEUV im Allgemeinen:

Die Untätigkeitsklage stellt das Gegenstück zu der in Art. 263 AEUV normierten Nichtigkeitsklage dar. Sie zielt darauf ab, die Unionsrechtswidrigkeit der Unterlassung eines Beschlusses geltend zu machen.

Es handelt sich um eine Feststellungsklage, Art. 265 I 1 AEUV.

Folge einer erfolgreichen Nichtigkeitsklage ist demnach immer ein Feststellungsurteil: Gemäß Art. 265 I 1 AEUV wird die Rechtswidrigkeit der Unterlassung positiv festgestellt. Dem betroffenen Organ wird auferlegt, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, vgl. Art. 266 I AEUV.

B. Prüfschema:

I. Zulässigkeit der Klage

(1.) Rechtsweg – Achtung: gedankliche Vorprüfung!

Der Rechtsweg zum EuGH ist gem. Art. 19 III EUV i.V.m. Art. 265 AEUV eröffnet, wenn eine Verletzung von Unionsrecht gerügt wird. Es gilt insoweit das im Europarecht allgemeingültige Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, Art. 19 III EUV. Siehe insbesondere Art. 19 III lit. c EUV: „in allen in den Verträgen vorgesehenen Fällen“. Im Europarecht wird die Eröffnung des Rechtswegs allerdings nicht ins Gutachten mit aufgenommen, sie dient lediglich als gedankliche Vorprüfung und stellt keinen eigenen Prüfungspunkt dar!

1. Sachliche Zuständigkeit

Sachlich zuständig ist grundsätzlich das EuG, vgl. Art. 256 I S. 1 AEUV. Für Untätigkeitsklagen von Mitgliedstaaten und EU-Organen, ist jedoch abweichend davon der EuGH zuständig, vgl. Art. 51 Satzung des EuGH.

2. Parteifähigkeit / Beteiligtenfähigkeit

Aktiv parteifähig, d.h. antragsberechtigt sind gemäß Art. 265 I S. 1 HS. 2 AEUV die Mitgliedstaaten und die anderen Organe der Europäischen Union iSv. Art. 13 I EUV. Natürliche und juristische Personen sind gem. Art. 265 III AEUV aktiv parteifähig. Aktive Parteifähigkeit bedeutet dabei, vor Gericht zu klagen.

Passiv parteifähig sind gem. Art. 265 I S.1 HS. 1 AEUV das Europäische Parlament, der Europäische Rat, der Rat, die Kommission, die EZB und gem. Art. 265 I 2 AEUV die Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union. Passive Parteifähigkeit bedeutet dabei, vor Gericht verklagt zu werden.

3. Vorverfahren

Das Vorverfahren stellt eine unabdingbare Klagevoraussetzung dar, vgl. Art. 265 II AEUV. Ziel des Vorverfahrens ist dabei eine gütliche Streitbeilegung.

a) Aufforderungsschreiben an das untätige Organ:

Erforderlich ist, dass das betroffene Organ, die in Frage stehende Einrichtung oder sonstige Stelle vorab, im Rahmen eines sog. Vorverfahrens, aufgefordert wird, tätig zu werden, vgl. Art. 265 II S. 1 AEUV. Das Schreiben muss enthalten:

aa) Bezeichnung der unterlassenen Maßnahme bb) Benennung der verletzten Handlungspflicht cc) Hinweis auf Klageerhebung für den Fall der weiteren Untätigkeit

b) Fruchtloser Ablauf von zwei Monaten

Liefert das betroffene Organ innerhalb von zwei Monaten nach o.g. Aufforderung keine entsprechende Stellungnahme ab, so darf Klage – unter Einhaltung der Klagefrist von zwei Monaten – Klage erhoben werden, vgl. Art. 265 II S. 2 AEUV.

4. Klagegegenstand

Der Klagegegenstand besteht aus dem Unterlassen eines Beschlusses im Sinne der vollständigen Unterlassung einer Entscheidung. Der Begriff Beschluss ist dabei weit auszulegen. Erfasst werden daher neben verbindlichen Rechtsakten auch Empfehlungen und Stellungnahmen. Unverbindliche Akte sind gem. Art. 263 I 1 AEUV ausgeschlossen. Aufgrund der Spiegelbildlichkeit der Nichtigkeits- und Anfechtungsklage können diese daher auch im Rahmen der Untätigkeitsklage nicht Klagegenstand sein. Der Klagegegenstand darf dabei nicht über den des Vorverfahrens hinausgehen. Eine Ausdehnung des Verstoßes würde zur Unzulässigkeit der Klage führen.

5. Klagebefugnis

Hinsichtlich der Klagebefugnis ist danach zu unterscheiden, ob es sich um eine Staaten- oder Organklage im Sinne von Art. 265 I AEUV oder um eine Individualklage (Klage natürlicher oder juristischer Person) im Sinne von Art. 265 III AEUV handelt.

a) Die Kläger einer Staaten- oder Organklage sind privilegiert klagebefugt, sie benötigen also keine besondere Klagebefugnis. Für die Mitgliedsstaaten und Organe der Union handelt es sich daher um ein objektives Verfahren.

b) Bei Individualklagen ergibt sich die Klagebefugnis aus der Adressatenstellung der unterlassenen Entscheidung, d.h. wenn ein Organ es unterlassen hat, einen rechtsverbindlichen Akt an sie zu richten, Art. 265 III AEUV. Darüber hinaus hat das EuG anerkannt, dass natürliche und juristische Personen auch dann Klagen können, wenn ein Organ es unterlassen hat, einen Beschluss zu erlassen, der den Kläger unmittelbar und individuell betroffen hätte (EuG, Rs. T-95/96 (Gestevisión Telecino), Slg. 1998, II-3407 (Rn. 57 ff.)). Diese Erweiterung der Klagemöglichkeit über den Wortlaut des Art. 265 III AEUV hinaus, hat besonders bei Konkurrentenklagen im Beihilferechte Bedeutung. Zum Beispiel, wenn die Kommission es unterlassen hat, einen Beschluss nach Art. 108 Abs. 2 UAbs. 1 AEUV zu erlassen. Die individuelle Betroffenheit bestimmt sich nach der Plaumannformel.

6. Klagefrist

Gemäß Art. 265 II S. 2 AEUV beträgt die Klagefrist zwei Monate nach Ablauf der zweimonatigen Stellungnahmefrist im Rahmen des Vorverfahrens.

Bezüglich der Fristberechnung sind Art. 49 ff. VerfO EuGH, bzw. Art. 101 f. VerfO EuG zu beachten.

7. Rechtsschutzinteresse

Das Rechtsschutzinteresse ist dann gegeben, wenn das betroffene Organ den fehlenden Beschluss bis zur Klageerhebung nicht gefasst hat. Gegebenenfalls ist hier die Untätigkeitsklage von der Nichtigkeitsklage abzugrenzen. Die Untätigkeitsklage wird dann unzulässig, wenn das Organ eine Entscheidung trifft, z.B. wenn das Organ den Antrag des Klägers ablehnt oder einen anderen als den vom Kläger gewünschten Akt erlässt. Daher führt auch eine negative Stellungnahme im Vorverfahren zur Unzulässigkeit der Untätigkeitsklage. Ist dies geschehen kann eine Nichtigkeitsklage gegen diese Entscheidung des Organs erhoben werden.

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II. Begründetheit der Klage

Die Untätigkeitsklage ist begründet, wenn das Organ aufgrund des Primär – oder Sekundärrechts zum Erlass eines Beschlusses im o.g. Sinn verpflichtet war. Eine objektive Untätigkeit genügt. Es ist daher unerheblich, wie schwierig die Erfüllung der Handlungspflicht für das Organ ist.

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