Die Saldotheorie

Saldotheorie - Unterschied zur Zweikondiktionenlehre, gleich- und ungleichartige Ansprüche, Prüfungsaufbau (Beispielsfall), Einschränkungen

Datum
Rechtsgebiet Gesetzliche Schuldverhältnisse
Ø Lesezeit 10 Minuten
Foto: optimarc/Shutterstock.com

I.  Allgemein

Die Saldotheorie ist ein Lösungsansatz für die Rückabwicklung nichtiger Verträge im BereicherungsrechtSo sollen auch bei der Rückabwicklung von unwirksamen gegenseitigen Verträgen die jeweiligen Leistungspflichten in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen. Vornehmlich geht es hierbei darum den Einwand der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB einzuschränken.

Zweikonditionenlehre

Nach dem Gesetzeswortlaut stehen bei der Rückabwicklung von bereits vollzogenen Austauschverträgen zunächst der Bereicherungsanspruch des einen Vertragspartners und der des anderen nebeneinander (sog. Zweikondiktionenlehre).

Problematisch wird die Rückabwicklung nach der Zweikondiktionenlehre allerdings dann, wenn die Sache beispielsweise beim Käufer ganz oder teilweise (schuldlos!) untergegangen ist. Sieht man die beiden Ansprüche nun als selbstständig an, führt diese Ansicht zu ungerechten Ergebnissen. So hätte der Verkäufer in dem genannten Fall wegen § 818 Abs. 3 BGB keinen Anspruch auf Wertersatz gem. §§ 812, 818 Abs. 2 BGB gegen den Käufer. Der Käufer indes hätte einen Anspruch auf Herausgabe des Geldes gem. § 812 Abs. 1 BGB. Damit würde in dieser Situation der Verkäufer das Risiko des zufälligen Untergangs tragen, obwohl die Sachherrschaft beim Käufer liegt.

Saldotheorie

Die Saldotheorie(, die im Verhältnis zur Zweikondiktionenlehre die herrschende Meinung darstellt,) soll in dieser Situation Abhilfe schaffen. Ziel ist es, das Gegenseitigkeitsverhältnis bei Austauschverträgen auch bei der Rückabwicklung zu beachten. Es besteht dann ein einheitliches Rückabwicklungsverhältnis, in dem alle erbrachten Leistungen einschließlich aller Vor- und Nachteile miteinander verrechnet (saldiert) werden.

Die herrschende Meinung begründet die Anwendung der Saldotheorie unter anderem mit dem faktischen Synallagma. So sollen die vormals im Gegenseitigkeitsverhältnis verknüpften Pflichten aus dem Austauschvertrag im Bereicherungsrecht und der Rückabwicklung faktisch fortgesetzt werden. Denn auch bei nichtigen Austauschverträgen erbringt eine Partei nur eine Leistung um der anderen Willen.

Des Weiteren soll § 818 Abs. 3 BGB den Empfänger schützen. Macht aber der Empfänger Bereicherungsansprüche geltend, obwohl er selbst gar nicht oder nur teilweise leisten kann, ist dieser auch nicht mehr (so) schutzwürdig.

Anwendung der Saldotheorie

Ob und wie die bestehenden Ansprüche saldiert werden, hängt vor allem davon ab, ob die Ansprüche gleichartig oder ungleichartig sind.

1. Verrechnung von gleichartigen Bereicherungsansprüchen

Beispiel:

K erwirbt ein Auto (Marktwert: 10.000 €) von V zu einem Kaufpreis von 8.000 €. Sodann wird das Auto dem K gestohlen. Ansprüche gegen eine Versicherung bestehen nicht. Der Vertrag erweist sich als nichtig.

Lösung nach der Saldotheorie:

Hier ist zunächst an einen Anspruch des K gegen V auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 8.000 € aus § 812 Abs. 1 BGB zu denken, ferner an einen Anspruch des V gegen K auf Wertersatz nach § 818 Abs. 2 BGB in Höhe von 10.000 €. Nach der Saldotheorie sind die jeweiligen Ansprüche allerdings zunächst nur unselbständige Rechnungsposten. Nach deren Saldierung ergibt sich ein einziger Bereicherungsanspruch, nämlich der des V gegen K auf Zahlung von 2.000 €. Erst und nur auf diesen einzigen Anspruch wird nun § 818 Abs. 3 BGB angewandt. Da das Fahrzeug gestohlen wurde, ist K entreichert. V kann daher nichts von K fordern.

Nochmals zur Verdeutlichung: Folgt man der Zweikondiktionenlehre hat K hingegen einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 8.000 € gegen V. V seinerseits hat zwar einen Anspruch gegen K auf Wertersatz. Gegen diesen kann K allerdings den Einwand der Entreicherung geltend machen, sodass V im Ergebnis nichts fordern kann. V trägt also das Verlust-/Untergangsrisiko bei K!

2. Ungleichartige Ansprüche

Ungleichartige Bereicherungsansprüche sind beispielsweise in dem obigen Fall gegeben, wenn das Auto noch bei K vorhanden ist. Eine einfache Verrechnung ist in diesen Fällen nicht möglich. Hier entsteht vielmehr von vornherein eine Zug-um-Zug-Verpflichtung. Die Einrede des Zurückbehaltungsrechts (§ 273 BGB) muss nicht erst erhoben werden.

K kann also den Kaufpreis im Beispielsfall nach § 812 Abs. 1 BGB nur zurückfordern, wenn er Zug-um-Zug die Rückübereignung des Fahrzeugs anbietet.

II. Prüfung der Saldotheorie

Der Prüfungsstandort sollte aus klausurtechnischen Gründen der Bereicherungsanspruch des Käufers sein. Kommt man hierbei zu dem Prüfungspunkt „Anspruch weggefallen“, wird die Saldotheorie in dem Unterpunkt „Wegfall der Bereicherung gem. § 818 Abs. 3 BGB“ hergeleitet (unter Umständen nach einer Abwägung zwischen der Zweikondiktionenlehre und der Saldotheorie mit den entsprechenden Argumenten s.o.).

1. Synallagmatisches Verhältnis

Es muss ein Austauschvertrag zu Grunde liegen, der jeden Vertragspartner zu einer im wechselseitigen Verhältnis stehenden Leistung (bzw. Gegenleistung) verpflichtet.

Dies ist – wie bereits erwähnt – wichtig, da die Rückabwicklung ebenfalls ein (faktisches) Synallagma darstellt.

2. Keine Einschränkung der Saldotheorie

Die Saldotheorie ist jedoch nicht uneingeschränkt anwendbar. Die folgenden klausurtypischen Fälle sollen zeigen, wann die Anwendung der Saldotheorie eindeutig ausgeschlossen ist und wann ihre Anwendung diskutiert werden muss.

 a. Der Käufer ist minderjährig

Ist der Käufer gem. §§ 104 ff. BGB minderjährig, so ist er besonders schutzwürdig. Da die Saldotheorie in ihrer Durchführung einem Vertragsverhältnis gleichkommt, würde bei ihrer Anwendung in Bezug auf Minderjährige der Schutzzweck der §§ 104 ff. BGB umgangen. Die Saldotheorie darf in einem solchen Fall daher nicht angewandt werden.

 b. Der Verkäufer haftet verschärft nach §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 und 2, 820 BGB

Denklogischerweise ist die Berufung auf die günstige Saldotheorie für den verschärft Haftenden ausgeschlossen.

 c. Der Verkäufer täuscht arglistig

Im Falle der arglistigen Täuschung haftet der Verkäufer regelmäßig verschärft und die Anwendung der Saldotheorie ist damit ausgeschlossen. Gänzlich unumstritten ist dies jedoch nicht.

Die Rechtsprechung verneint die Anwendung der Saldotheorie, da der arglistig Täuschende dieses Billigkeitskorrektiv nicht verdiene.

Die Literatur hingegen zieht eine Parallele zum Gewährleistungsrecht und kommt damit zur Anwendung der Saldotheorie. So wird angeführt, dass ein Käufer zwar auch bei einer Verschlechterung der Kaufsache zurücktreten kann, er dem Verkäufer aber zum Wertersatz nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB verpflichtet ist.

Welcher Meinung im Einzelfall zu folgen ist, hängt dabei sehr stark von der Wertung der Täuschung ab. Ist die Täuschung nicht ausschlaggebend, so könnte man konsequenterweise auf die Parallele zum Gewährleistungsrecht abstellen und die Saldotheorie anwenden. Misst man der Täuschung jedoch ein entscheidendes Gewicht bei, sollte man der Rechtsprechung folgend die Schutzwürdigkeit des Verkäufers verneinen und die Anwendung der Saldotheorie ablehnen.

 d. Der Verkäufer liefert eine mangelhafte Sache

Liefert der Verkäufer eine mangelhafte Sache und aufgrund des Mangels geht die Sache unter, kann sich der Verkäufer nicht auf die Saldotheorie berufen. Die Begründung liegt darin, dass der Verkäufer bei der Nichtigkeit eines Vertrages nicht besser als bei der Sachmängelgewährleistung gestellt werden soll. Somit legt die Sachmängelhaftung eine Risikoverteilung fest, welche auch bei der bereicherungsrechtlichen Abwicklung gelten muss. Wichtig ist aber, dass die Kaufsache gerade aufgrund (!) des Sachmangels untergegangen ist.

 e. Vorleistung des Käufers

Tritt der Verkäufer in Vorleistung, liegt nur eine Leistung vor. Eine Saldierung ist damit nicht möglich. Die Saldotheorie kann also keine Anwendung finden. Argumentativ wird für dieses Ergebnis angeführt, dass der Verkäufer bei einer Vorleistung auch das Risiko des zufälligen Untergangs tragen soll.

Beispiel:

V übergibt und übereignet K Anfang April einen Pkw, Marktwert 5.000 €. Der Kaufpreis in Höhe von 6.000 € soll bis Monatsende bezahlt werden. Der Pkw wird gestohlen. Sodann erweist sich der Vertrag als unwirksam.

Lösung:

Hier hat K mangels erbrachter Kaufpreiszahlung keinen Rückgewähranspruch. Gegen den (einzig bestehenden) Bereicherungsanspruch des V aus § 812 Abs. 1 BGB kann K sich auf § 818 Abs. 3 BGB berufen, sodass er im Ergebnis nichts zurückgeben braucht. V trägt das Untergangs-/Verlustrisiko bei K.

JURA-Individuell-Hinweis:

Gegen dieses Ergebnis wird zum Teil angeführt, es sei unbillig. Nach den Wertungen des § 346 Abs. 2 Nr. 3 BGB soll der Käufer das Sachrisiko tragen, wenn der Kaufgegenstand bei ihm untergeht. Nichts anderes solle auch bei einer Vorleistung des Verkäufers gelten. Gelöst wird das Problem mit der „modifizierten Zweikondiktionenlehre„, die mittels einer teleologischen Reduktion des § 818 Abs. 3 BGB den Entreicherungseinwand wertend – nämlich unter Berücksichtigung des § 346 BGB – einschränkt. Wer glauben darf, eine Sache behalten zu dürfen, weil er von der Wirksamkeit des Vertrags ausgeht, soll bei deren Verlust keinen Wertersatz leisten müssen. Allerdings gibt es kein berechtigtes Vertrauen darauf, die Sache behalten zu dürfen und gleichzeitig die eigene Leistung nicht (mehr) erbringen zu müssen.

Nach der modifizierten Zweikondiktionenlehre kann K sich im Beispielsfall also nicht auf den Wegfall seiner Bereicherung berufen, da er das Verlustrisiko trägt. V kann damit gemäß §§ 812 Abs. 1, 818 Abs. 2 BGB Wertersatz in Höhe von 5.000 € verlangen.

3. Beispiel für die Prüfung der Saldotheorie in der Klausur

Beispielsfall:

siehe oben I. 1.

Lösung:

Anspruch des V gegen K auf Wertersatz für den Pkw gemäß §§ 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt., 818 Abs. 2 BGB?

  1. K müsste etwas durch Leistung des V ohne Rechtsgrund erlangt haben. K hat Eigentum und Besitz am Pkw erlangt. Dies infolge einer Leistung des V, der durch die Übergabe seine vermeintliche Vertragspflicht erfüllen wollte. Nachdem sich der Vertrag als unwirksam erwiesen hat, fehlt es an einem Rechtsgrund.
  2. K müsste folglich das Erlangte herausgeben, § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB. Da der Pkw gestohlen wurde, ist die Herausgabe dem K allerdings unmöglich. Nach § 818 Abs. 2 BGB müsste er daher Wertersatz leisten. K könnte sich jedoch auf den Entreicherungseinwand nach § 818 Abs. 3 BGB berufen, da sich der Pkw nicht mehr in seinem Vermögen befindet.

Dies hätte allerdings zur Folge, dass V das Risiko des zufälligen Untergangs/Verlusts bei K trägt. Denn V ist hinsichtlich des erlangten Geldes nicht entreichert, sodass K ihn auf Rückzahlung des Kaufpreises in Anspruch nehmen könnte. Diese getrennte Betrachtungsweise der jeweiligen Bereicherungsansprüche entspricht zwar der Gesetzeslage (strenge Zweikondiktionenlehre), sie könnte jedoch zu einem unbilligen Ergebnis führen.

Saldotheorie

Um diese Unbilligkeit zu beseitigen, wurde die Saldotheorie entwickelt. Hiernach soll die für die Rückabwicklung wirksamer Verträge geltende Gefahrverteilung (vgl. § 326 Abs. 1 BGB) auch bei der Rückabwicklung unwirksamer Verträge maßgeblich sein. Ist ein Kaufvertrag also nichtig und geht die Sache beim Käufer unter, so soll er dafür auch das Risiko tragen, einen bereits gezahlten Kaufpreis mithin nicht zurückerhalten. Aufgrund dieser Erwägungen geht die ständige Rechtsprechung davon aus, dass im gegenseitigen Vertrag die Kondiktionen der beiden Vertragspartner nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. Nach dieser sogenannten Saldotheorie stellen die jeweiligen Ansprüche der Vertragsparteien vielmehr zunächst nur unselbständige Rechnungsposten dar, die zu saldieren sind. Erst auf den sich hierdurch ergebenden – einen – Bereicherungsanspruch ist § 818 Abs. 3 BGB anzuwenden. Da die Saldotheorie dem „faktischen Synallagma“ Rechnung trägt, ist ihr zu folgen.

Vorliegend sind daher die beiden Rechnungsposten (Anspruch des V gegen K auf Wertersatz in Höhe von 10.000 € und Anspruch des K gegen V auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 8.000 €) zu saldieren. Gegen den sich hiernach ergebenden Bereicherungsanspruch des V gegen K auf Wertersatz in Höhe von (noch) 2.000 € kann K sich nun gemäß § 818 Abs. 3 BGB auf den Wegfall der Bereicherung berufen.

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III. Fazit

Bei der Saldotheorie muss man sich stets vor Augen halten, dass sie auf Billigkeitserwägungen basiert. Ihre (mögliche) Anwendung sollte also immer genauestens geprüft werden. Des Weiteren sollte man stets beachten, dass die Saldotheorie selbst keinen eigenen Anspruch begründen kann, sondern vielmehr die Anwendbarkeit des § 818 Abs. 3 BGB einschränkt.

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