Arbeitsrecht- Fälle zur Haftung 1

Haftung des Arbeitnehmers gegeneinander Dritten (anderen Arbeitnehmern); Anspruch auf Schadensersatz gegen Arbeitgeber; § 831 BGB, § 278 BGB

Datum
Rechtsgebiet Arbeitsrecht
Ø Lesezeit 20 Minuten
Foto: ESB Professional/Shutterstock.com

Der folgende Artikel befasst sich mit der Haftung im Arbeitsrecht. Anhand eines Beispielfalls sollen die wesentlichen Probleme, die sich im Rahmen von Klausuren regelmäßig stellen anschaulich erörtert werden. Zur Bearbeitung des Falles kann der Artikel „Haftung im Arbeitsrecht“, sowie das Schema „Haftung im Arbeitsrecht“ ergänzend herangezogen werden.

Sachverhalt:

Müllfahrer Manfred (M) hat auf seiner Geburtstagsfeier zu viel getrunken. Am nächsten Tag ist er bei der Arbeit ziemlich unkonzentriert und übersieht kurz vor Schichtwechsel seinen Kollegen Rolf (R), der gerade mit seinem Roller zur Arbeit fährt. Es kommt ein paar Straßen vor dem Gelände der Mülldeponie zu einer Kollision und Rolf stürzt mit seiner Vespa zu Boden. An Rolfs Roller entsteht ein Sachschaden in Höhe von 280 €. Rolf selbst bricht sich das linke Bein, es entstehen Arzt- und Behandlungskosten in Höhe von 500 €. Aufgrund seiner Verletzung ist Rolf fünf Wochen krank. Während dieser Zeit erhält er von der M-GmbH eine Lohnfortzahlung. An dem von Manfred gefahrenen Müllwagen entstand ein Schaden in Höhe von 1200 €. Manfred ist bereits seit 14 Jahren bei der M-GmbH beschäftigt, bisher ist es noch zu keinerlei Beanstandungen gekommen.

Wie ist die Rechtslage?

Bearbeitervermerk: Es ist davon auszugehen, dass die M-GmbH keine freiwillige Berufs- oder Haftpflichtversicherung für sich und ihre Mitarbeiter abgeschlossen hat.

A. Ansprüche M-GmbH gegen M

1. Anspruch aus §§ 280 I, 241 II BGB (Sachschaden am Müllwagen)

Die M-GmbH könnte gegen M einen Anspruch aus §§ 280 I, 241 II BGB i.V.m. § 254 BGB analog auf Zahlung von 1200 € wegen Beschädigung des Fahrzeugs haben.

I. Schuldverhältnis

Es müsste ein Schuldverhältnis zwischen der M- GmbH und M vorliegen. M ist als Müllfahrer bei der M-GmbH angestellt. Damit liegt ein Schuldverhältnis in Form des Arbeitsvertrages  nach § 611a I BGB vor.

II. Pflichtverletzung

M müsste eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt haben. In Betracht kommt vorliegend die Verletzung einer Nebenpflicht im Sinne von § 241 II BGB. Nebenpflichten existieren neben den vertraglich vereinbarten Hauptleistungspflichten (die Pflicht des M der M-GmbH seine Arbeitsleistung zur Verfügung zu stellen). Unter einer Nebenpflicht versteht man, die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils. Im Bezug auf ein Arbeitsverhältnis bedeutet dies, dass der Arbeitnehmer stets dafür Sorge zu tragen hat, dass es zu keiner Beeinträchtigung der Interessen des Arbeitgebers kommt. Dies erfordert auch, dass er mit den zur Verfügung gestellten Arbeitsmitteln etc. umsichtig umzugehen hat. M war vorliegend aufgrund alkoholbedingter Nachwirkungen unkonzentriert und hat deshalb den Unfall mit dem Müllwagen verursacht. Somit ist eine Nebenpflichtverletzung aus § 241 II BGB gegeben. Es liegt folglich eine Pflichtverletzung vor.

III. Vertretenmüssen

M müsste die Pflichtverletzung auch zu vertreten haben. Das Vertretenmüssen bezieht sich dabei auf Vorsatz und Fahrlässigkeit gem. § 276 I 1 BGB und wird grundsätzlich gem. § 280 I 2 BGB vermutet. M hat den Unfall und den Zusammenstoß mit R aus Unkonzentriertheit verursacht, wobei die fehlende Konzentration auf den am Vorabend genossenen Alkohol zurückzuführen ist. M hat die Pflichtverletzung somit auch nach § 280 I 2 BGB zu vertreten. Jura Individuell – Tipp für das Assessorexamen: Die Beweislast liegt im Streitfall beim Arbeitgeber, da § 619a BGB gegenüber § 280 I 2 BGB lex specialis ist.

IV. Schaden

Es müsste ein Schaden zu Lasten der M- GmbH entstanden sein. Unter einem Schaden ist grundsätzlich jede unfreiwillige Vermögenseinbuße zu verstehen. Am Müllwagen ist vorliegend ein Schaden in Höhe von 1200 € entstanden, dieser ist auch kausal aufgrund der zu vertretenen Pflichtverletzung. Zwischenergebnis: Eine Haftung des M ist grundsätzlich gegeben.

V. Haftungsausfüllende Kausalität

Weiterhin ist erforderlich, dass zwischen der Verletzungshandlung und der Rechtsgutsverletzung Kausalität gegeben ist. Diese bestimmt sich zunächst einmal nach der Äquivalenztheorie. Danach ist eine Handlung dann kausal für den eingetretenen Erfolg, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Wenn M vorliegend nicht unkonzentriert gewesen wäre, hätte er den R nicht übersehen und es wäre nicht zum Unfall gekommen. Die Handlung des M war somit kausal für den eingetreten Erfolg.

VI. Haftungsbeschränkungen gemäß § 254 BGB oder § 254 BGB analog

Fraglich ist, ob dem M Haftungsbeschränkungen in Form eines Mitverschuldens seitens der M-GmbH zu Gute kommen.

a. Mitverschulden des Arbeitgebers, § 254 BGB

Ein direktes Mitverschulden der M-GmbH i.S.v. § 254 BGB ist vorliegend nicht ersichtlich.

b. Haftungserleichterung bei betrieblich veranlasster (gefahrgeneigte) Tätigkeit, § 254 BGB analog, durch innerbetrieblichen Schadensausgleich:

Es könnte allerdings eine Haftungserleichterung vorliegen, § 254 BGB analog. Von der Rechtsprechung wurden diesbezüglich die Grundsätze des sog. innerbetrieblichen Schadensausgleichs entwickelt. Danach ist eine Haftungserleichterung zu gewähren, wenn die Tätigkeit durch den Betrieb veranlasst ist und aufgrund des Arbeitsverhältnisses ausgeübt wurde. Dies ist der Fall, wenn die Tätigkeit arbeitsvertraglich festgehalten wurde und der Arbeitnehmer sie im Interesse des Betriebs ausführt.

Jura Individuell-Hinweis: Grundsätzlich ist nach der h.M. dem Arbeitnehmer eine Haftungserleichterung zu gewähren. Es wäre allerdings unbillig, dem Arbeitgeber generell das allgemeine Lebensrisiko des Arbeitnehmers mit aufzubürden. Vielmehr soll er nur für die Fälle ein Mitverschulden tragen müssen, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen.

Hier verunfallte M während Verrichtung seiner Arbeit, somit war die Tätigkeit durch den Betrieb veranlasst und aufgrund des Arbeitsverhältnisses ausgeführt. Dass M aufgrund des vorangegangenen Alkoholkonsums unachtsam war, ist insoweit unerheblich. Die Haftungserleichterung kommt ihm grundsätzlich zu Gute.

Allerdings wird eine Haftungserleichterung nicht schrankenlos gewährt, vielmehr unterscheidet die h.M. beim innerbetrieblichen Schadensausgleich nach dem Grad des Verschuldens.

Bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit haftet der Arbeitnehmer grundsätzlich voll, während er bei leichter Fahrlässigkeit nicht haftet. Liegt hingegen mittlere Fahrlässigkeit vor, ist die Haftung anhand einer Gesamtschau zu quoteln: Nach Ansicht des BAG werden hier Schadensanlass und Schadensfolgen nach Billigkeits- und Zumutbarkeitsgründen miteinander abgewogen (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 24.11.1987, 8 AZR 590/82). Abzustellen ist dabei auf den Grad des Verschuldens, die Gefahrgeneigtheit der Arbeit, die Höhe des Schadens, die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb sowie auf die besonderen Umstände des Einzelfalls und persönlichen Umstände des Arbeitnehmers, wie z.B. Dauer der Betriebszugehörigkeit, die Höhe des Arbeitsentgelts und das bisherige Verhalten. Auch die Regelungen über das Mitverschulden gem. § 254 BGB können analog herangezogen werden.

Jura Individuell-Hinweis: Beachte hinsichtlich der einzelnen Fahrlässigkeitsgrade die Kommentierungen im Palandt zu § 276 BGB.

Vorliegend hat M den Müllwagen aufgrund von alkoholbedingter Unkonzentriertheit beschädigt. Er hat dabei gegen seine allgemeinen Sorgfaltspflichten als Arbeitnehmer verstoßen. Gerade bei gefahrgeneigter Arbeit (hier: Fahren und Bedienen von sehr großen und schweren Fahrzeugen) gehört es zu den Pflichten eines Arbeitnehmers stets konzentriert und körperlich fit zu arbeiten, um möglichen Gefahren vorzubeugen. M hätte vorliegend also am Vorabend nicht so viel Alkohol trinken dürfen, um sicherzustellen, dass er am nächsten Tag zu 100 % arbeitsfähig ist. Eine bloße Unachtsamkeit seitens des M ist bei einem solchen Verhalten nicht mehr anzunehmen, es liegt folglich keine leichte Fahrlässigkeit vor. Allerdings kann auch nicht von einem besonders grobem Verstoß ausgegangen werden, so dass auch keine grobe Fahrlässigkeit angenommen werden kann. Das Verhalten des M ist somit als mittlere Fahrlässigkeit einzustufen, so dass die Haftung zu quoteln ist.

Für M spricht, dass er bereits 15 Jahre in dem Betrieb tätig ist und er bisher nie auffällig geworden ist, sondern stets zufriedenstellende Arbeit abgeliefert hat. Auf der anderen Seite ist der entstandene Schaden nicht ganz unerheblich.

Bei Würdigung aller Umstände bedeutet dies für den vorliegenden Fall, dass die Haftung für den Schaden hälftig zu teilen ist. Die anteilige Haftung von 600 Euro ist M auch zuzumuten, da ihn dies nicht auf Dauer in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet.

Ergebnis: Die M-GmbH hat damit gegen M einen Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten in hälftiger Höhe von 600 € gem. §§ 280 I, 241 II BGB i.V.m. § 254 BGB analog.

2. Anspruch aus § 823 I BGB (Sachschaden am Müllwagen)

Ein Anspruch nach § 823 I BGB ist ebenfalls gegeben. Auch hier gelten die oben genannten Haftungserleichterungen, da ansonsten diese Grundsätze ausgehebelt würden.

B. Ansprüche R gegen M

1. Anspruch aus § 823 I BGB (Ersatz der Arzt- und Behandlungskosten)

R könnte gegen M einen Anspruch auf Ersatz seiner Arzt- und Behandlungskosten in Höhe von 500 € gem. § 823 I BGB haben.

I.Haftungsbegründender Tatbestand

1.Rechtsgutsverletzung

Dazu müsste zunächst eine Verletzung eines der in § 823 I BGB normierten Rechtsgüter vorliegen. R hat sich bei dem Sturz das linke Bein gebrochen. Somit liegt eine Rechtsgutverletzung (Körper) vor.

2. Verletzungshandlung

M hat die Verletzung durch positives Tun verursacht, indem er den R angefahren hat.

3. Haftungsbegründene Kausalität

Wenn M vorliegend nicht unkonzentriert gewesen wäre, hätte er den R nicht übersehen und es wäre nicht zum Unfall gekommen (s.0.). Die Handlung des M war somit kausal für den eingetreten Erfolg.

4./5. Rechtswidrigkeit, Verschulden

Die Rechtswidrigkeit ist vorliegend indiziert. Weiterhin müsste M das Verhalten und die Verletzung auch verschuldet haben. Das Verhalten des M ist als mittlere Fahrlässigkeit einzustufen (s.o.), sodass ein Verschulden grundsätzlich anzunehmen ist.

II. Haftungsausfüllender Tatbestand

Grundsätzlich gilt, dass der durch die Rechtsgutverletzung kausal und zurechenbar hervorgerufene Schaden nach den §§ 249 ff. BGB zu ersetzen ist.

R sind Arzt- und Behandlungskosten i.H.v. 500,00 € entstanden, ein Schaden liegt somit vor. Dieser wurde durch das Handeln des M auch kausal verursacht.

Zwischenergebnis: M hat grundsätzlich Schadensersatz nach § 823 I BGB zu leisten.

III. Haftungsbeschränkung nach § 105 SGB VII

Es könnte jedoch eine Haftungsbeschränkung gem. § 105 I S. 1 SGB VII einschlägig sein, die den Anspruch des R gegen M ausschließt. Danach sind Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebs verursacht haben, diesen sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 II Nr.1-4 SGB VII versicherten Wege herbeigeführt haben.

Jura Individuell Hinweis: § 105 I SGB VII ist seinem Wortlaut nach nur auf Personen und nicht aus Sachschäden anwendbar.

Voraussetzung für einen Haftungsbeschränkung nach § 105 I S. 1 SGB VII sind, dass ein Versicherter des selben Betriebs geschädigt worden ist, der Versicherungsfall durch eine betriebliche Tätigkeit verursacht wurde und dieser nicht vorsätzlich herbeigeführt wurde.

a. Schädigung eines Versicherten des selben Betriebs

Es müsste ein Versicherter i.S. d. SGB VII verletzt worden ist. Dies ist der Fall: Gem. § 2 I Nr. 1 SGB VII sind Beschäftigte kraft Gesetzes in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert.

Jura Individuell- Tipp: Sofern die Prüfungsordnung des jeweiligen Bundeslandes es erlaubt, empfiehlt es sich als Gedächtnisstütze § 2 SGB VII neben § 105 I SGB VII zu kommentieren!

Vorliegend hat M einen Versicherungsfall an dem im selben Betrieb beschäftigten R verursacht, für den folglich die Betriebsunfallversicherung der M-GmbH aufkommen müsste. R ist somit ein Versicherter i.S.d. SGB VII.

b. Betrieblich veranlasste Tätigkeit

Der Versicherungsfall müsste des Weiteren durch eine betrieblich veranlasste Tätigkeit verursacht worden sein. Dies ist gem. §§ 7 I, 8 I SGB VII der Fall, wenn es sich bei dem schädigenden Ereignis um einen Arbeitsunfall handelt. Vorliegend ereignete sich der Unfall während der Arbeitszeit. Eine betrieblich veranlasste Tätigkeit ist deshalb anzunehmen.

Jura Individuell- Tipp: Sofern die Prüfungsordnung des jeweiligen Bundeslandes es erlaubt, empfiehlt es sich als Gedächtnisstütze §§ 7, 8 SGB VII neben § 105 I SGB VII zu kommentieren!

c. Kein Vorsatz, kein Arbeitsunfall

§ 105 I S. 1 SGB VII greift jedoch nicht bei vorsätzlichem Handeln. Vorliegend hat M jedoch lediglich fahrlässig (mittlere Fahrlässigkeit, s.o.) gehandelt. Es dürfte auch kein Arbeitsunfall i.S.v. § 8 II Nr. 1-4 SGB VII vorliegen. Der Unfall ereignete sich vorliegend kurz vor Schichtwechsel und R war mit seinem Roller auf dem Weg zur Arbeit. Somit ist ein Arbeitsunfall (Wegeunfall) nach § 8 II Nr. 1 SGB II gegeben. Der Haftungsausschluss des § 105 I S. 1 SGB VII ist somit nicht zugunsten des M anwendbar: Die Haftung ist daher vorliegend nicht ausgeschlossen.

Ergebnis: R hat Anspruch gegen M auf Ersatz seiner Arzt- und Behandlungskosten gem. § 823 I BGB.

Exkurs: Der Grund für die Existenz des § 105 SGB VII liegt in der Erhaltung des Betriebsfriedens. Es soll vermieden werden, dass das Betriebsklima durch gerichtliche Auseinandersetzungen der Mitarbeiter untereinander erheblich gestört wird. Aus diesem Grund soll lediglich bei vorsätzlichen Personenschäden eine Haftung nach § 823 I BGB zwischen den Arbeitnehmern bestehen. In allen anderen Fällen wird der Schaden durch die gesetzliche Unfallversicherung ausgeglichen.

Jura Individuell-Tipp: In Klausuren kann sich das Problem stellen, ob überhaupt eine betriebliche Tätigkeit vorliegt. Bei einem Streit unter Arbeitskollegen ist daher zwischen privat-persönlichen und betriebsbezogenen Tätigkeiten abzugrenzen. Nach Ansicht des BAG ist eine betriebliche Tätigkeit dann anzunehmen, wenn der Schädiger bei objektiver Betrachtungsweise aus seiner Sicht im Betriebsinteresse handeln durfte, sein Verhalten unter Berücksichtigung der Verkehrsüblichkeit nicht untypisch ist und keinen Exzess darstellt, vgl. BAG, 22.04.2004, 8 AZR 159/03.

2. Anspruch aus § 823 I BGB (Sachschaden am Roller)

R könnte gegen M einen Anspruch aus § 823 I BGB auf Zahlung von 280 € wegen Beschädigung der Vespa haben.

I.Haftungsbegründender Tatbestand

1.Rechtsgutsverletzung

Dazu müsste zunächst eine Verletzung eines der in § 823 I BGB normierten Rechtsgüter vorliegen. Vorliegend wurde R’s Roller beschädigt. Somit liegt eine Rechtsgutverletzung (Eigentum) vor.

2. Verletzungshandlung

M hat die Verletzung durch positives Tun verursacht, indem er den R angefahren hat.

3. Haftungsbegründene Kausalität

Wenn M vorliegend nicht unkonzentriert gewesen wäre, hätte er den R nicht übersehen und es wäre nicht zum Unfall gekommen (s.0.). Die Handlung des M war somit kausal für den eingetreten Erfolg. Die Rechtswidrigkeit ist vorliegend indiziert. Weiterhin müsste M das Verhalten und die Verletzung auch verschuldet haben. Das Verhalten des M ist als mittlere Fahrlässigkeit einzustufen (s.o.), sodass ein Verschulden grundsätzlich anzunehmen ist.

II. Haftungsausfüllender Tatbestand

Grundsätzlich gilt, dass der durch die Rechtsgutverletzung kausal und zurechenbar hervorgerufene Schaden nach den §§ 249 ff. BGB zu ersetzen ist. Die Reparaturkosten der Vespa belaufen sich vorliegend auf 280 €, ein Schaden liegt somit vor. Dieser wurde durch das Handeln des M auch kausal verursacht.

Zwischenergebnis: M hat grundsätzlich Schadensersatz nach § 823 I BGB zu leisten.

III. Haftungsbeschränkung

a. Ein Ausschluss der Haftung aufgrund von § 105 I 1 SGB VII scheidet bzgl. des Rollers aus, da es sich dabei um einen Sachschaden und gerade nicht um einen Personenschaden handelt.

b. Ebenso sind die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs hier nicht anwendbar. Diese gelten nur im Innenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und können daher im Verhältnis zwischen zwei Arbeitnehmern nicht herangezogen werden.

Ergebnis: R hat damit einen Anspruch aus § 823 I BGB gegen M auf Zahlung der 280 € wegen Beschädigung des Rollers.

C. Ansprüche R gegen M-GmbH

1. Anspruch aus § 3 I EfZG (Lohnfortzahlung)

Der Anspruch des R auf Lohnfortzahlung während seiner fünfwöchigen Krankheit ergibt sich aus § 3 I 1 EfZG haben. Danach hat der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber aufgrund eines Krankheitsfalles einen Anspruch auf Lohnfortzahlung für einen maximalen Zeitraum von sechs Wochen.

2. Anspruch auf Ersatz der Arzt- und Behandlungskosten

a. Anspruch aus §§ 280 I, 241 II BGB

R könnte gegen die M-GmbH einen Anspruch auf Ersatz der Arzt- und Behandlungskosten aus §§ 280 I, 241 II BGB haben.

I. Schuldverhältnis

Es müsste ein Schuldverhältnis zwischen der M- GmbH und R vorliegen. Dieses liegt in Form des Arbeitsvertrages nach § 611a I BGB vor.

II. Pflichtverletzung

Die M-GmbH müsste eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt haben. Die M-GmbH selbst hat jedoch den Unfall nicht verursacht.

Fraglich ist, ob die M-GmbH sich das Verhalten des M zurechnen lassen muss.

In Betracht kommt eine Zurechnung nach § 278 BGB. Voraussetzung hierfür ist, dass M Erfüllungsgehilfe der M-GmbH ist. Erfüllungsgehilfe ist, wer mit Wissen und Wollen des Schuldners bei der Erfüllung einer dem Schuldner obliegenden Verbindlichkeit tätig wird.

Dies ist vorliegend allerdings nicht der Fall: M handelte zur Erfüllung seiner eigenen Verbindlichkeiten aus dem Arbeitsvertrag und nicht zur Erfüllung einer Verbindlichkeit der M-GmbH. M ist somit kein Erfüllungsgehilfe er M-GmbH, sodass eine Zurechnung nach § 278 BGB hier nicht erfolgen kann.

Jura Individuell-Hinweis: Der Arbeitgeber haftet dem betroffenen Arbeitnehmer gegenüber gem. § 278 BGB für schuldhaft begangene Rechtsverletzungen, die von ihm als Erfüllungsgehilfen eingesetzte Mitarbeiter oder Vorgesetzte begehen. Dabei ist es jedoch erforderlich, dass die schuldhafte Handlung des als Erfüllungsgehilfe des Arbeitgebers handelnden Mitarbeiters in einem inneren sachlichen Zusammenhang mit den Aufgaben steht, die der Arbeitgeber ihm als Erfüllungsgehilfen zugewiesen hat. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn der Erfüllungsgehilfe gegenüber dem betroffenen Arbeitnehmer die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers konkretisiert bzw. wenn er ihm gegenüber Weisungsbefugnis hat, vgl. BGH, 16.05. 2007, 8 AZR 709/06 (hier z.B. wenn M beim Aufladen der Mülltonnen eine Schaden verursacht hätte).

Ergebnis: Somit scheitert ein Anspruch des R gegen die M-GmbH aus §§ 280 I, 241 II BGB mangels eigener Pflichtverletzung der M-GmbH und mangels Zurechnung.

Exkurs: Kommt man hingegen zu dem Ergebnis, dass die M-GmbH für den Schaden verantwortlich ist (z.B. weil M Erfüllungsgehilfe ist), so müsste ferner ein Haftungsausschluss nach § 104 I SGB VII geprüft werden: Der Anspruch könnte aufgrund von § 104 I SGB VII ausgeschlossen sein. Gemäß dieser Norm sind Unternehmer den Versicherten, die für ihr Unternehmen tätig sind zum Ersatz eines Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 II Nr. 1- 4 SGB VII versicherten Weg (Arbeitsunfall) herbeigeführt haben. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass zwar die M-GmbH nicht vorsätzlich handelte, jedoch ein Arbeitsunfall (Wegeunfall) i.S.v. § 8 II Nr. 1 SGB VII vorliegt (s.o.). Der Haftungsausschluss des § 104 I SGB VII würde somit nicht greifen, sodass R im Ergebnis auch gegen die M-GmbH einen Anspruch auf Ersatz der Arzt-und Behandlungskosten hätte. M und die M-GmbH würden demnach gesamtschuldnerisch gem. § 426 I BGB haften. R könnte den Schaden folglich bei beiden in voller Höhe, insgesamt jedoch nur einmal geltend machen.

b. Anspruch aus § 831 BGB

R könnte gegen M-GmbH einen Anspruch auf Ersatz der Arzt- und Behandlungskosten aus § 831 BGB haben (Haftung für Verrichtungsgehilfen).

Eine Haftung der M-GmbH scheitert jedoch daran, dass M vorliegend bereits seit 14 Jahren für die M-GmbH tätig ist und es bisher noch zu keinerlei Beanstandungen gekommen ist. Die M-GmbH kann sich folglich nach § 831 I S. 2 BGB exkulpieren.

Ergebnis: Ein Anspruch aus § 831 BGB besteht nicht.

3. Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten für den Roller

a. Anspruch aus §§ 280 I, 241 II BGB

R könnte gegen M-GmbH einen Anspruch auf Ersatz des Reparaturkosten gem. §§ 280 I, 241 II BGB haben.

I. Schuldverhältnis

Es müsste ein Schuldverhältnis zwischen der M- GmbH und R vorliegen. R ist bei der M-GmbH angestellt. Damit liegt ein Schuldverhältnis in Form des Arbeitsvertrages nach § 611a I BGB vor.

II. Pflichtverletzung

M-GmbH müsste eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt haben. Diese könnte sich vorliegend aus § 241 II BGB ergeben. In Betracht kommt die Verletzung einer Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag. Der Arbeitgeber hat im Rahmen des mit R geschlossenen Arbeitsvertrages die Interessen und die Rechtsgüter des Arbeitnehmers zu wahren. Durch die Beschädigung des Rollers könnte die M-GmbH diese Pflicht verletzt haben. Vorliegend hat die M-GmbH jedoch selbst keine schädigende Handlung vorgenommen, da M den Schaden herbeigeführt hat.

Fraglich ist, ob die M-GmbH sich das Verhalten des M zurechnen lassen muss.

In Betracht kommt eine Zurechnung nach § 278 BGB. Dies kann hier jedoch nicht erfolgen (s.o.).

Ergebnis: Somit scheitert ein Anspruch des R gegen die M-GmbH aus §§ 280 I, 241 II BGB mangels eigener Pflichtverletzung der M-GmbH und mangels Zurechnung.

b. Anspruch aus § 831 BGB

R könnte gegen M-GmbH einen Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten aus § 831 BGB haben (Haftung für Verrichtungsgehilfen).

Eine Haftung der M-GmbH scheitert jedoch daran, dass sich die M-GmbH vorliegenden nach § 831 I S. 2 BGB exkulpieren kann (s.o.).

Ergebnis: Ein Anspruch aus § 831 BGB besteht nicht.

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D. Ansprüche M gegen M-GmbH

Freistellungsanspruch (im Innenverhältnis M gegen M-GmbH), § 670 BGB doppelt analog i.V.m. § 257 BGB M könnte jedoch, was den Schaden am Roller betrifft, im Innenverhältnis zu seinem Arbeitgeber einen Anspruch auf Freistellung gem. § 670 BGB analog i.V.m. § 257 BGB.

1. Keine direkte Anwendung von § 670 BGB – Analogievoraussetzungen

a. Direkt ist § 670 BGB nicht anwendbar, da sich § 670 BGB nur auf Geschäftsbesorgungsverträge bezieht. Aufgrund der Nähe des Auftragsrechts zum Dienstvertragsrecht ist eine analoge Anwendung nach dem BAG jedoch explizit möglich. Dabei sind jedoch die Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen, wonach gerade Dienste gegen Entgelt verrichtet werden, während im Auftragsrecht Dienste ohne Bezahlung erfolgen. Voraussetzung für die analoge Anwendung ist daher, dass es sich bei den zu ersetzenden Schäden nicht um sog. arbeitsadäquate Schäden handelt, die bereits von der Vergütung erfasst sind. Ein Schaden ist dann arbeitsadäquat, wenn er mit der Verrichtung der Arbeit regelmäßig einhergeht. Vorliegend wurde jedoch der Schaden am Roller geltend gemacht, dies stellt keinen arbeitsadäquaten, vielmehr ein außergewöhnlicher Schaden dar (Analogie 1).

b. § 670 BGB ersetzt nur Aufwendungen, d.h. freiwillige Vermögensopfer. Ein Schaden ist jedoch ein unfreiwilliges Vermögensopfer. Das BAG hat daher wendet daher § 670 BGB doppelt analog an (Analogie 2).

2. Betrieblich veranlasste Tätigkeit

Die schädigende Handlung war betrieblich veranlasst (s.o.).

3. Aufwendungen des Arbeitnehmers

Es müsste ein Schaden („Aufwendung“) entstanden sein, für den M im Außenverhältnis gegenüber einem Dritten haftet. Dies ist vorliegend er Fall: M hat dem R den Schaden am Roller nach § 823 I BGB zu ersetzten (s.o.). Zwischenergebnis: M hat gegen die M-GmbH einen Anspruch auf Freistellung gem. § 670 BGB doppelt analog i.V.m. § 257 BGB wegen des an R zu leistenden Schadensersatzes für den Roller. Folglich hat die M-GmbH diesen Schaden anstelle des M gegenüber R zu ersetzen.

Allerdings müssen wiederum die Grundsätze des innerbetrieblieblichen Schadensausgleichs berücksichtigt werden.

Jura Indiviuell-Hinweis: Ein Arbeitnehmer kann gegenüber seinem Arbeitgeber bzgl. des Schadensersatzes für einen Dritten nur bis zu der Höhe Ersatz (Freistellung) verlangen, wie er nach den Regeln des innerbetrieblichen Schadensausgleichs nicht selbst haften würde.

M handelte vorliegend mit mittlerer Fahrlässigkeit. Insoweit ist auf die Ausführungen unter Teil 1. VI b zu verweisen. Die Haftung ist daher zwischen M und der M-GmbH zu quoteln. Vorliegend ist eine hälftige Aufteilung angemessen.

Ergebnis: M hat daher gegenüber der M-GmbH einen Anspruch auf Freistellung in Höhe von 140 € gem. § 670 BGB analog i.V.m. § 257 BGB.

Endergebnis: M haftet folglich gegenüber R mit 140 €. Bezüglich der restlichen 140 € kann R die M-GmbH in Anspruch nehmen, solange M den Freistellungsanspruch an ihn abtritt.

Jura Individuell -Hinweis: Bei einem Freistellungsanspruch hat der Dritte einen direkten Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber. Voraussetzung hierfür ist aber, dass der Schädiger zunächst seinen Freistellungsanspruch dem Dritten nach § 398 S. 1 BGB abtritt.

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