§ 181 BGB – Klausurfall

BGB-Klausur zum § 181 BGB. Verbot des Insichgeschäftes. Teleologische Reduktion des § 181 BGB bei Verpflichtung und Verfügung durch Selbstkontrahieren

Datum
Rechtsgebiet BGB AT
Ø Lesezeit 8 Minuten
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Fall

Der großzügige verwitwete Vater Viktor will die Konfirmation seines 15-jährigen Sohnes Stefan zum Anlass nehmen, diesem ein bebautes Grundstück zu schenken. Er wendet sich mit seinem Anliegen an das Bauunternehmen Hofer-GmbH, deren auch zu Grundstücksverkäufen berechtigter Prokurist Paul ein guter Bekannter von Viktor ist.

Paul, der den wenig arbeitnehmerfreundlichen Teilhabern der Hofer-GmbH schon länger „eins auswischen“ möchte, bietet Viktor ein exzellent gelegenes, bebautes Grundstück (Wert: 400.000,- Euro), das im Eigentum der GmbH steht, für 200.000,- Euro an. Viktor erkennt, dass der äußerst niedrige Preis auch mit dem Konflikt zwischen Paul und seiner Arbeitgeberin zu tun hat, will sich aber die günstige Gelegenheit nicht entgehen lassen. Das Grundstück wird von Paul an Viktor im Namen der Hofer-GmbH formgerecht verkauft und aufgelassen; bis zur Konfirmation ist es noch einige Zeit; Auflassung und Eintragung als Eigentümer im Grundbuch erfolgen zunächst u.a. aus steuerlichen Gründen zugunsten Viktors, der das Grundstück längerfristig vermietet.

Schenkung und Auflassung an Stefan

Anlässlich der Konfirmation von Stefan schenkt Viktor Stefan formgerecht das Grundstück. Sodann erfolgt wenige Tage später die ebenfalls formgerechte Auflassung des (derzeit vermieteten) Grundstücks durch Viktor an Stefan, wobei Stefan durch Viktor vertreten wird. Kurz nach der Eintragung des Stefan als Eigentümer im Grundbuch entdeckt nun die Geschäftsführung der Hofer-GmbH das Geschäft zwischen Paul und Viktor und die unangemessene Preisgestaltung.

  1. Hat die Hofer-GmbH gegen Stefan einen Anspruch auf Bewilligung ihrer Wiedereintragung in das Grundbuch als Eigentümerin des Grundstücks?
  2. Abwandlung: Erst nach Stefans 18. Geburtstag erklären Viktor und Stefan vor dem Notar die Auflassung. Einige Tage später wird Stefan als Eigentümer ins Grundbuch eingetragen. Welche Ansprüche stehen der Hofer-GmbH gegen Stefan in diesem Fall zu ?

Lösung

Frage 1:

Anspruch der Hofer-GmbH (H) gegen Stefan (S) auf Bewilligung (§ 19 GBO) ihrer Wiedereintragung in das Grundbuch als Eigentümerin des Grundstücks

A. Gemäß § 894 BGB

I. Unrichtigkeit des Grundbuchs

Grundbuch unrichtig, wenn Bucheigentümer S nicht auch tatsächlich Eigentümer des Grundstücks.

Ursprünglich Eigentümer des Grundstücks: H.

Möglicherweise Eigentumsverlust durch Übereignung an V oder durch Übereignung von V an S gemäß §§ 873 I, 925 BGB.

  1. Auflassung von H gegenüber V, §§ 873, 925 BGB: Auflassung von H gegenüber V, wenn H durch P wirksam vertreten (§§ 164 ff. BGB).

a.) Eigene Willenserklärung in fremdem Namen, § 164 I BGB (+)

b.) Vertretungsmacht, § 167 BGB, §§ 48 ff. HGB (§§ 13 III GmbHG, 6 I HGB)

aa.) gegenständliche Reichweite (§ 49 I HGB); Generell betriebstypische Geschäfte; an sich Ausschluss von Grundstücksgeschäften, § 49 II HGB; hier aber besondere Ermächtigung.

bb.) Einschränkung durch Kollusion/Missbrauch

Grundsatz, dass Innen- und Außenverhältnis voneinander unabhängig (Abstraktionsprinzip); aber Durchbrechung?

Nichtigkeit des Vertretergeschäfts wegen Kollusion, § 138 I BGB: (-), da kein einvernehmliches Zusammenwirken zwischen P und V zum Nachteil von H.

Missbrauch der Vertretungsmacht?

(1) Voraussetzungen auf Seiten des Dritten (+), wenn sich Missbrauch dem Dritten geradezu aufdrängen muss (ähnlich grober Fahrlässigkeit). Hier: Missbrauch für V nicht nur evident, sondern auch mit dolus eventualis bewusst.

(2) Voraussetzungen auf Seiten des Vertreters (+), wenn Vertreter bewusst unter Verletzung seiner Pflichten aus dem Innenverhältnis handelte (erhöhte Anforderungen an Missbrauch der Vertretungsmacht bei Prokura, da wegen gesetzlich typisierter Vollmacht des Handelsrechts erhöhter Vertrauensschutz): Hier (+), da P den Gesellschaftern „eins auswischen“ will.

(3) Rechtsfolge: Rspr.: § 242 BGB; h.L.: Begrenzung der Vertretungsmacht, §§ 177 ff. BGB analog. H.L. vorzugswürdig, weil Vertretene danach RG noch genehmigen kann und dogmatisch Ausnahme vom Abstraktionsprinzip berücksichtigt; Folge: Auflassung entsprechend § 177 I BGB schwebend unwirksam. Hier Genehmigung von S verweigert (Wiedereintragungsverlangen), sodass endgültige Unwirksamkeit die Folge.

cc.) Zwischenergebnis: H hat durch die zwischen P und V erklärte Auflassung nicht das Eigentum verloren.

  1. Auflassung von V gegenüber S, §§ 873, 925 BGB;

a.) Fehlendes Eigentum des V:

Zwar V nicht Eigentümer; aber § 892 I 1 BGB? Unrichtigkeit dem Erwerber bekannt? Für Kenntnis des S auf Kenntnis des V abzustellen (§ 166 I BGB). V zwar Missbrauch bewusst (dolus eventualis); jedoch keine Kenntnis von schwebender Unwirksamkeit; jedenfalls keine Kenntnis i.S.d. § 892 I 1 BGB.

b.) Form, hier (+).

c.) Einigung:

Erklärung des V im eigenen Namen (Veräußerer) und im Namen von S (Erwerber).

Wirksame Vertretung des S durch V gemäß §§ 164 ff. BGB?

Handeln im Namen des S, § 164 I BGB (+).

Vertretungsmacht?

Grundsätzlich unbeschränkt, §§ 1626 I 1, 1629 I 1, 1680 I BGB (§ 1643 I BGB iVm. § 1821 Nr.1 BGB (-), weil S nicht Verfügender, sondern durch die Verfügung begünstigt; § 1643 I 1 BGB iVm. § 1821 Nr.5 BGB (-), weil kein entgeltlicher Erwerb).

Ausnahme: Verbot des Insichgeschäfts, § 1629 II 1 BGB iVm. § 1795 I bzw. §§ 1795 II, 181 BGB (ratio: Vermeidung von Interessenkollisionen):

§ 1795 I (-);

§§ 1795 II, 181 BGB: Selbstkontrahieren (+):

Ausnahme wegen bloßer Erfüllung einer Verbindlichkeit, § 181 BGB a.E.?

Hier Verbindlichkeit des V gegenüber S aus Schenkungsvertrag (§ 516 BGB)? Hat V den S bei Abschluss des Schenkungsvertrages wirksam vertreten?

§§ 1629 II, 1795 II, 181 BGB: Selbstkontrahieren (+), aber Ausnahme aufgrund teleologischer Reduktion, wenn in festumrissenem Rechtsbereich die Gefahr einer Interessenkollision schlechthin ausgeschlossen, wie etwa bei rechtlichem Vorteil für den Vertretenen.

Rechtlicher Nachteil wegen öffentlicher Lasten (Steuern, Gebühren, etc.) (-), weil nicht durch Rechtsgeschäft, sondern durch öffentliches Recht begründet. Außerdem Haftung auf Grundstück beschränkt (vgl. § 1147 BGB).

Rechtlicher Nachteil durch Schenkungsvertrag wegen Vermietung des Grundstücks (§ 566 I BGB)? Nein, weil durch den schuldrechtlichen Vertrag keine persönlichen Pflichten des Beschenkten begründet und keine Rechte des Minderjährigen aufgehoben werden.

Aber rechtlicher Nachteil bei Eigentumserwerb (Verfügungsgeschäft) wegen Eintritt in das Mietverhältnis (§ 566 I BGB) und daraus resultierende persönliche Haftung; allerdings grundsätzlich Abstraktionsprinzip.

Gleichwohl Nachteil aus Verfügungsgeschäft schon bei zugrundeliegendem Verpflichtungsgeschäft zu berücksichtigen als Durchbrechung des Abstraktionsprinzips?

Andernfalls Schenkungsvertrag wirksam und Auflassung in Erfüllung einer Verbindlichkeit (+), sodass der gesetzliche Vertreter rechtlich nachteilige Erfüllungsgeschäfte für bzw. mit dem Minderjährigen entgegen den Wertungen der §§ 107, 181 BGB vornehmen könnte.

H.M.: Gesamtbetrachtung:

Mögliche Nachteile aus dem Erfüllungsgeschäft sind schon bei der Beurteilung der rechtlichen Vorteilhaftigkeit des schuldrechtlichen Geschäftes zu berücksichtigen.

Schenkungsvertrag schwebend unwirksam (§ 108 I BGB), Auflassung nicht Erfüllung einer (wirksamen) Verbindlichkeit i.S.d. § 181 BGB; Auflassung schwebend unwirksam nach § 177 I BGB; H weiterhin Eigentümerin des Grundstücks.

A.A.: Teleologische Reduktion

Teleologische Reduktion von § 181 BGB dahin, dass zu erfüllende Verbindlichkeit rechtlich vorteilhaft sein muss. Hier: (-). Ergebnis wie bei h.M.

  1. Zwischenergebnis: S wurde nicht Eigentümer des Grundstücks. Grundbuch daher unrichtig.

II. Aktivlegitimation von H (grundbuchfähig, § 13 I GmbHG) (+), weil ihr Eigentum fälschlicherweise nicht eingetragen ist.

III. Passivlegitimation von S (+), weil Bucheigentümer.

IV. Ergebnis:

H kann von S gemäß § 894 BGB Bewilligung zu ihrer Eintragung als Grundstückseigentümerin verlangen.

B. gemäß § 812 I 1 BGB: 1. Alt.

(-), weil danach nur Rückabwicklung in den Leistungsverhältnissen H – V und V – S; wegen Vorrang der Leistungskondiktion § 812 I 1 2. Alt. (-).

C. gemäß § 822 BGB

  1. Etwas Erlangt/Zuwendung: Vermögensvorteil durch Erlangung der Buchposition (+), weil dadurch Möglichkeit über das Grundstück zu verfügen
  2. Bereicherungsanspruch H – V wegen Erlangung der Buchposition? Kaufvertrag und Erfüllungsgeschäft wegen Missbrauchs der Vertretungsmacht durch P unwirksam; V hat Buchposition also ohne Rechtsgrund erlangt, so dass V gemäß § 812 I 1 1. Alt. BGB gegenüber H zur Bewilligung der Wiedereintragung von H verpflichtet ist.
  3. (Wirksame) Unentgeltliche Zuwendung an Dritten? V bezüglich Buchposition Berechtigter, der S unentgeltlich zur Buchposition verholfen hat.
  4. Verpflichtung des V zur Herausgabe der Bereicherung ausgeschlossen? (+), weil Verpflichtung des V infolge Verlusts der Buchposition ausgeschlossen.
  5. Ergebnis: H hat gegen S Anspruch auf Bewilligung ihrer Wiedereintragung auch aus § 822 BGB
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Frage 2:

A. Anspruch von H gegen S gemäß § 894 BGB

I. Unrichtigkeit des Grundbuchs

  1. Auflassung und Eintragung, §§ 873 I, 925 BGB (+)
  2. Berechtigung des V?

a.) Wegen Missbrauchs der Vertretungsmacht kein Eigentumserwerb; Verfügung als Nichberechtigter; keine nachträgliche Genehmigung durch H ( §§ 185 II 1. Alt., 184 I BGB).

b.) Eigentümerstellung des H wegen § 892 I 1 BGB ?

aa.) Unrichtigkeit des Grundbuchs (+), weil V eingetragen, obwohl H Eigentümerin.

bb.) Begünstigter Personenkreis: Beschränkung auf rechtsgeschäftlichen Erwerb, hier (+).

cc.) Ausschlussgründe? positive Kenntnis des Erwerbers von der Unrichtigkeit oder Eintragung eines Widerspruchs (-).

dd.) Rechtsfolge: Grundbuch gilt als richtig (Fiktion). V gilt also zugunsten des S als Eigentümer.

II. Ergebnis: S hat Eigentum an dem Grundstück erworben. Grundbuch war mit Eintragung des S nicht mehr unrichtig. Kein Anspruch gemäß § 894 BGB.

B. Anspruch von H gegen S gemäß § 816 I 2 BGB

I. Verfügung eines Nichtberechtigten?: (+), wegen Übereignung durch Nichteigentümer V.

II. Wirksamkeit gegenüber dem Berechtigten? (+), wegen gutgläubigem Erwerb (§ 892 I 1 BGB): sachenrechtlicher Verkehrsschutz führt zu rechtsgrundlosem Erwerb, der wegen der geringeren Schutzbedürftigkeit des entgeltlichen Erwerbers schuldrechtlich rückabzuwickeln ist.

III. Unentgeltlichkeit der Verfügung? (+), weil Rechtsgrund der Übereignung Schenkung.

IV. Anspruchsinhalt: Eigentum an dem Grundstück ist herauszugeben.

Anmerkung

Zu diesem Klausurfall gibt es einen verständnisorientierten Artikel über das Abstraktionsprinzip sowie den Aufsatz über neutrale Geschäfte beschränkt Geschäftsfähiger.

Zu dem Thema dieses Klausurfalles kann jederzeit ein vertiefender Crashkurs gebucht werden oder ein Coaching im Repetitorium stattfinden.

Alle aktuellen Aufsätze und Klausurfälle sind unter „Artikel“ aufgeführt.

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