Gewillkürte Prozessstandschaft – Klausurfall

Gewillkürte Prozessführungsbefugnis. Gewillkürter Parteiwechsel auf Beklagtenseite. Notwendiger Inhalt der Klageschrift nach § 253 II ZPO.

Datum
Rechtsgebiet BGB AT
Ø Lesezeit 10 Minuten
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Fall

E ist Eigentümer eines Grundstücks mit der Flur-Nr. 64. Aus historischen Gründen besteht das im Grundbuch als Einheit eingetragene Grundstück aus zwei Teilgrundstücken, die im Kataster als 64/1 und 64/2 bezeichnet sind.

N (der unmittelbare Nachbar des E) wollte das neben seiner Garage gelegene Teilgrundstück 64/2 erwerben. Darüber wurde im Jahre 2016 ein privatschriftlicher Tauschvertrag zwischen E und N geschlossen. Seither nutzt N das Grundstück 64/2 als Autostellplatz, hat es mit einer kleinen Mauer umgeben, die auch sein eigenes Grundstück umfasst, und zusammen mit seinem eigenen Grundstück einheitlich rot gepflastert. Im Tauschwege nutzte E seither eine kleine Teilfläche von N.

Im Jahre 2019 verkaufte und übereignete E sein Grundstück Nr. 64 an den Erwerber B in notarieller Form. Vorher hatten E und B das Grundstück besichtigt, das mit Ausnahme der Teilfläche 64/2 einheitlich grau gepflastert ist, um den B über den Zustand des Grundstücks, dessen Lage und ungefähre Größe zu unterrichten. B wurde noch im Jahre 2019 in das Grundbuch als Eigentümer des Grundstücks Flur-Nr. 64 eingetragen. Als N dies erfuhr, machte er E Vorhaltungen im Hinblick auf den zwischen E und N praktizierten Tausch und erinnerte E daran, dass dieser ihm das Eigentum an dem Teil 64/2 zugesagt habe. E entgegnete, er habe das Teilstück 64/2 selbstverständlich nicht mit verkaufen und übertragen wollen, und bot N deshalb ausdrücklich an, dass dieser alle Rechte gegenüber B gerichtlich geltend machen darf.

Nunmehr klagt N gegen B vor dem zuständigen Gericht. Er macht geltend, B müsse dem E das Grundstück 64/2 in grundbuchmäßiger Hinsicht „zurückgeben“, aus welchem Rechtsgrund auch immer.

Wie wird das Gericht über die Zulässigkeit der Klage entscheiden?

Lösung

Das angerufene Gericht wird die Zulässigkeit der von N eingereichten Klage prüfen.

A. Zulässigkeit

Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen ausschließlich in Hinblick auf den notwendigen Klageinhalt gemäß § 253 II Nr.2 ZPO sowie bzgl. der Prozessführungsbefugnis des N.

I. Notwendiger Inhalt der Klageschrift

Damit durch Zustellung des Schriftsatzes gemäß § 261 I iVm. § 253 I ZPO Rechtshängigkeit eintritt, muss die Klageschrift den inhaltlichen Anforderungen des § 253 II ZPO genügen, insbesondere gemäß § 253 II Nr.2 ZPO einen bestimmten Antrag aufweisen, sowie den Gegenstand und Grund des Anspruchs in bestimmter Form angeben.

1. Bestimmter Antrag

Indem N die „Rückgabe“ des Teilgrundstücks 64/2 an E in grundbuchmäßiger Hinsicht begehrt, stellt er zwar einen Antrag, der nach zulässiger Auslegung eindeutig auf Berichtigung der Grundbuchlage an dem Teilgrundstück 64/2 gerichtet und daher hinreichend bestimmt i.S.v. § 253 II Nr.2 ZPO ist.

2. Bestimmtheit von Klagegegenstand und Klagegrund

Jedoch ist angesichts der Berufung des N auf jedweden in Betracht kommenden Rechtsgrund fraglich, ob die Angabe von Gegenstand sowie Grund des erhobenen Anspruchs den Bestimmheitsanforderungen genügt. Gegenstand i.S.v. § 253 II Nr. 2 ZPO ist nicht das gegenständliche Objekt der Klage, sondern der zugrundeliegende Lebenssachverhalt, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (Anspruchsgrund). Sobald N die eigentumsrelevanten Vorgänge am Teilgrundstück 64/2 in tatsächlicher Hinsicht darlegt, gibt er demnach Gegenstand und Grund des Anspruchs hineichend bestimmt an. Rechtliche Qualifizierungen, etwa die Benennung einer materiellrechtlichen Anspruchsgrundlage, sind demnach wegen des Grundsatzes „iura novit curia“ entbehrlich.

3. Ergebnis

Mithin genügt die Klageschrift des N den Anforderungen des § 253 II ZPO.

II. Prozessführungsbefugnis des N

Angesichts der unterbliebenen Übereignung des Teilgrundstücks 64/2 an N macht dieser mit der Berufung auf eine eigentumsrechtliche Position erkennbar ein Recht des E geltend. Dies macht er allerdings nicht als dessen Vertreter, sondern im eigenen Namen, so dass seine Prozessführungsbefugnis in Frage steht. Prozessführungsbefugt ist neben dem Inhaber der Sachbefugnis über ein Recht derjenige, dem das materielle Recht bzw. das Prozessrecht die Wahrnehmung fremder Rechtsinteressen im eigenen Namen gestattet (sog. gesetzliche Prozessstandschaft) oder der von Sachbefugten zulässigerweise dazu ermächtigt worden ist (sog. gewillkürte Prozessstandschaft).

Eine gesetzliche Prozessstandschaft des N kommt nicht in Betracht.

Fraglich ist demgegenüber, ob E den N durch Rechtsgeschäft zum Prozessstandschafter bestellt hat. Die allgemein anerkannte gewillkürte Prozessstandschaft ist in der ZPO nicht grundlegend geregelt. Um Popularklagen zu vermeiden, verlangen Rechtsprechung und Literatur als Wirksamkeitsvoraussetzungen, dass der Sachbefugte einen Dritten zur Prozessstandschaft ermächtigt und dieser Dritte ein schutzwürdiges rechtliches Interesse an der Prozessstandschaft hat.

1. Ermächtigung durch den Sachbefugten

Indem er dem N anbot, dass dieser alle Rechte gegenüber B gerichtlich geltend machen darf, könnte E den N rechtsgeschäftlich zur Prozessstandschaft ermächtigt haben. Zwar gestattet E dem N nicht ausdrücklich eine Prozessführung im eigenen Namen, so dass seine Erklärung auf eine Klageerhebung des N in fremden Namen, also eine Bevollmächtigung zur Prozessvertretung, gerichtet sein könnte. Dagegen sprechen jedoch die für die Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB heranzuziehenden Begleitumstände im Vorfeld der Willenserklärung. Zu diesem Zeitpunkt sah sich E mit den Vorhaltungen des N konfrontiert, der nach erfolgtem Geländetausch und Durchführung baulicher Maßnahmen auf fremden Grund ein -für E erkennbares- wirtschaftliches Interesse an der Nutzung und dem künftigen Erwerb des Teilgrundstücks 64/2 hatte. Nach dem objektivierten Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) war die Gestattung durch E daher jedenfalls nicht als Bevollmächtigung zur Prozessvertretung zu verstehen.

Weiterhin ist fraglich, ob die Gestattung durch E ein Angebot auf Abtretung (§ 398 BGB) eines etwaigen Anspruchs auf Beseitigung der Buchposition des Erwerbers B darstellt, welches N mit Klageerhebung konkludent (sowie gemäß § 151 S.1 BGB) angenommen haben könnte. Dem könnte bereits entgegenstehen, dass ein solcher unmittelbar aus dem Eigentum erwachsener dinglicher Anspruch nach heute ganz überwiegender Ansicht nicht abtretbar ist. Diese Frage kann jedoch dahinstehen, weil E erkennbar eine Beseitigung der vorhandenen Buchposition des B zu seinen eigenen Gunsten verfolgt, um anschließend der -wegen Formnichtigkeit des Grundstückstauschvertrages gemäß § 311b I S.1, 125 S.1 BGB rechtlich unverbindlichen- Zusage auf Eigentumsverschaffung gegenüber N nachzukommen. Demnach scheidet ein Angebot des E auf Abtretung seines etwaigen Anspruchs ohnehin aus.

Zwischenergebnis

Die Gestattung des E ist somit als Ermächtigung zur Prozessstandschaft auszulegen und beurteilt sich als einseitige empfangsbedürftige Erklärung des Sachbefugten und formlose Prozesshandlung in ihrer Wirksamkeit nach § 185 I BGB analog. Die dem N mündlich erteilte Einwilligung in die gerichtliche Geltendmachung von Rechten des E im eigenen Namen ist damit eine grundsätzlich taugliche rechtsgeschäftliche Ermächtigung zur Prozessstandschaft.

Zweifelhaft ist allerdings, ob die Ermächtigung hinsichtlich des in Frage stehenden Grundbuchberichtigungsanspruches aus § 894 BGB ihre prozessrechtliche Wirkung entfaltet. Nach heute in Rechtsprechung und Literatur ganz überwiegender Auffassung ist der Anspruch aus § 894 BGB nicht isoliert abtretbar. Auf das Verfahrensrecht übertragen könnte dieser materiellrechtliche Befund einer Geltendmachung des Grundbuchberichtigungsanspruchs im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft entgegenstehen. Nach allgemeiner Meinung soll der Ausschluss der selbständigen Abtretbarkeit die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs durch einen gewillkürten Prozessstandschafter allerdings nicht hindern. Für eine wirkame Ermächtigung zur Prozessstandschaft sei eine Abtretbarkeit des Rechts selbst nicht erforderlich. Es genüge vielmehr, dass die Rechtsausübung überlassungsfähig ist.

Gerade weil im materiellen Recht eine Abspaltung des untrennbar mit dem Eigentum als Stammrecht verbundenen dinglichen Anspruchs ausscheidet, besteht ein praktisches Bedürfnis für die Geltendmachung dinglicher Ansprüche im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft. Im Unterschied zu einer -nach ganz überwiegender Auffassung unzulässigen- Vollstreckungsabtretung des Anspruches aus § 894 BGB verbleibt dem Sachbefugten bei der gewillkürten Prozessstandschaft auch nicht bloß nacktes Eigentum, weil er die Ermächtigung gemäß § 185 I BGB analog jederzeit widerrufen kann.

Daher ist die prozessuale Rechtsausübung hinsichtlich des Grundbuchberichtigungsanspruches überlassungsfähig, so dass E den N wirksam zur Prozessführung im eigenen Namen ermächtigt hat.

2. Schutzwürdiges rechtliches Interesse des Prozessstandschafters

Ferner müsste N ein schutzwürdiges rechtliches Eigeninteresse an der gerichtlichen Geltendmachung von Rechten des E haben. Rein persönliche oder wirtschaftliche Interessen des Klägers reichen nicht aus.

a.) Rechtliches Interesse des N

Ein rechtliches Interesse an der „grundbuchmäßigen Rückgabe“ des Teilgrundstücks 64/2 an E könnte sich für N aus dem Geländetauschvertrag sowie aus der Nutzung des Grundstücks zu eigenen Zwecken ergeben.

Ob der gemäß § 311b I S.1, 125 S.1 BGB formnichtige Tauschvertrag (§ 480 BGB) aus dem Jahre 2016 ein rechtliches Interesse des N begründet, ist jedoch zweifelhaft. Mangels wirksamer schuldrechtlicher Verpflichtung des E i.S.d. §§ 480, 433 I S.1 BGB hat N allenfalls eine Aussicht auf künftigen Eigentumserwerb von E. Diese bloße Erwerbschance begründet zwar sein wirtschaftliches Interesse an der Prozessstandschaft, reicht allerdings für ein rechtliches Eigeninteresse nicht aus.

Rechtliches Interesse aus der Nutzung des Grundstücks zu eigenen Zwecken?

Ein rechtliches Eigeninteresse könnte sich jedoch aus der Nutzung des Teilgrundstücks 64/2 durch N ergeben, soweit diesem Gebrauch eine vertragliche Abrede zugrunde liegt. Obwohl der privatschriftliche Vertrag über den Geländetausch aus dem Jahre 2016 im Hinblick auf eine Verpflichtung zur Übergabe und Eigentumsverschaffung formnichtig ist, könnte er zumindest eine wirksame Nutzungsabrede beinhalten. Das E und N mit dem Geländetausch jedenfalls eine wechselseitige Gebrauchsgewährung, d.h. zwei Mietverträge mit Entgeltleistung in Form der Gebrauchsüberlassung vereinbaren wollten, legt schon die Beutzung der fremden Teilfläche durch den jeweiligen Nachbarn im Anschluss an den Vertragsschluss nahe. Ob sich diese wechselseitige Nutzungsabrede aus dem privatschriftlichen Tauschvertrag im Wege der Auslegung (§§ 133, 157 BGB) oder der Umdeutung (§ 140 BGB) ergibt, kann dahinstehen. Jedenfalls hat N als obligatorisch Nutzungsberechtigter an der Teilfläche 64/2 eine taugliche Rechtsstellung inne.

Aus dieser Nutzungsberechtigung müsste sich ein rechtliches Interesse daran ergeben, die Buchposition des B als eingetragener Eigentümer mit einer Klage im eigenen Namen anzugreifen. Ob N wie E ein rechtliche Interesse an der Geltendmachung „grundbuchmäßiger Rückgaberechte“ gegen den Erwerber B hat, um beispielsweise den redlichen Erwerb durch einen Dritten gemäß § 892 I 1 BGB zu verhindern, ist zweifelhaft. Jedenfalls könnte das rechtliche Interesse des N darin bestehen, mit der Grundbucheintragung zugleich deren Legitimationswirkung zugunsten des Buchberechtigten B zu beseitigen. Auf diese Weise wäre N in der Lage, eine drohende Inbesitznahme des Teilgrundstücks 64/2 durch B zu verhindern. Die Gefahr einer faktischen Störung des Nutzungsrechts durch den Buchberechtigten B begründet demnach ein hinreichendes rechtliches Eigeninteresse des Prozessstandschafters N.

b.) Schutzwürdigkeit des rechtlichen Interesses

Sein rechtliches Eigeninteresse müsste demnach schutzwürdig sein. Die Schutzwürdigkeit scheidet insbesondere aus, wenn der Beklagte durch die gewählte Art der Prozessführung unbillig benachteiligt würde. Dafür, dass B als Beklagter durch die Klägereigenschaft des N unbillige Nachteile erleidet, ist nichts ersichtlich. Insbesondere ist B gegen die Gefahr, nicht nur von N, sondern auch von E mit einem Prozess überzogen zu werden, durch die Einrede der Rechtshängigkeit (§ 261 III Nr.1 ZPO) sowie -nach rechtskräftigem Abschluss eines Prozesses- durch die Einrede der Rechtskraft hinreichend geschützt.

Mithin hat N ein schutzwürdiges rechtliches Eigeninteresse an der Geltendmachung der Rechte des E im eigenen Namen.

3. Ergebnis

N ist demnach prozessführungsbefugt.

B. Ergebnis

Die Klage des N ist somit zulässig.

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