Streitverkündung und Streithilfe
Nebenintervention; Form der Streitverkündung; Rechtsfolgen der Streitverkündung
Streitverkündung und Streithilfe stellen immer wieder ein beliebtes Thema sowohl in Referendars-, als auch in Assessorklausuren dar. Dieser Artikel soll vor allem auf die Voraussetzugen einer Streitverkündung nach §§ 72 ff. ZPO eingehen, deren Auswirkungen (Nebeninterventionswirkung, bzw. Streithilfe) darstellen und schließlich das Thema anhand eines Beispielfalls noch einmal veranschaulichen.
I. Allgemeines
A. Streitverkündung, §§ 72 ff. ZPO
Unter einer Streitverkündung versteht man die förmliche Benachrichtigung eines Dritten von einem anhängigen Prozess (dem sog. „Vorprozess“).
Herbeigeführt wird dadurch die Beteiligung dieses Dritten an dem Rechtsstreit (sog. „Interventionswirkung“, d.h. Bindungwirkung gem. §§ 74, 68 ZPO).
Sinn und Zweck ist es, den Dritten an die Entscheidungen des Vorprozesses bei einem eventuellen Folgeprozess gegen den Dritten zu binden.
Anknüpfungspunkt für eine Streitverkündung ist dabei stets, dass eine Partei einerseits im Vorprozess einen für sie ungünstigen Ausgang befürchtet, sich anderseits aber gegen einen Dritten erhofft, einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung (d.h. einen Regressanspruch) geltend machen zu können, vgl. § 72 I ZPO.
B. Streithilfe, §§ 66 ff. ZPO
Streithilfe ist die Beteiligung eines Dritten (d.h. keiner Partei) an einem Verfahren, um eine Partei zu unterstützen.
Jura-Individuell-Hinweis: Streithilfe stellt oft die Folge einer Streitverkündung dar (wenn der Dritte dem Verfahren beitritt, Näheres dazu weiter unten), sie ist jedoch auch unabhängig davon möglich, wenn ein rechtliches Interesse für sie besteht, vgl. § 66 I ZPO.
II. Voraussetzungen der Streitverkündung
Die Zulässigkeit der Streitverkündung spielt für den Ausgangsprozess keine Rolle, vielmehr wird diese erst im Folgeprozess geprüft, wenn es zu zwischen Streitverkünder und Streitverkündungsempfänger zum Rechtsstreit kommt, vgl. Thomas/Putzo Kommentar zur ZPO, 35. Auflage, § 72 Rn. 4 (im Folgenden abgekürzt als ThP).
A. Anhängigkeit des Vorprozesses
Der Vorprozess, in dem der Streitverkünder Partei ist, muss anhängig sein. Rechtshängigkeit i.S.v. § 261 I ZPO ist nach Ansicht des BGH nicht erforderlich, vgl. BGHZ 92, 251. Es genügt als, dass die Klage des Vorprozesses bereits erhoben ist, sie muss noch nicht zwingend zugestellt sein.
B. Streitverkündungserklärung an einen unbeteiligten Dritten
Grundsätzlich können beide Parteien des Vorprozesses dem Streitverkündungsempfänger den Streit verkünden. Die Erklärung darf dabei nur unbedingt erfolgen, vgl. ThP § 74 Rn. 2. Ob und wem der Streitverkündungsempfänger beitritt, bleibt dessen Entscheidung überlassen. Für den Beitritt gelten die Voraussetzungen des § 70 ZPO. Der Beitritt kann jedoch nur zu einer der beiden Parteien erfolgen, die Bindungswirkung tritt dabei nur gegenüber der im Vorprozess unterliegenden Partei ein, vgl. ThP § 72, Rn. 5.
C. Streitverkündungsgrund
Eine Streitverkündung darf nicht grundlos erfolgen. Vielmehr muss nach § 72 I ZPO der Streitverkünder glauben, dass er im Falle des für ihn ungünstigen Ausgangs des Rechtsstreits gegen den Dritten als Streitverkündungsempfänger einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung (d.h. Regressansprüche) haben kann, vgl. ThP § 71, Rn. 6 ff.
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a. Anspruchsgegnerschaft
Es muss ein Anspruch auf Gewährleistung oder Schadensersatz gegen den Streitverkündungsempfänger entstehen können.
b. Anspruchsinhaberschaft
Alternativ kann auch ein Regressanspruch des Streitverkündungsempfänger gegen den Streitverkünder entstehen können. Dies ist in den Fällen der §§ 75-77 ZPO der Fall, wenn der Streitverkünder über ein Recht des Streitverkündungsempfängers prozessiert. Ein Beispiel hierfür wäre der Prozess eines Frachtführers in Drittschadensliquidation gegen einen Unterfrachtführer über den Schadensersatzanspruch des Absenders (vgl. BGHZ 116, 95).
D. Form
a. Schriftform
Nach § 73 ZPO muss die Streitverkündung schriftlich erfolgen. In der Regel erfolgt dies durch Einreichung eines entsprechenden Schriftsatzes bei dem Prozessgericht des Vorprozesses; beim Amtsgericht kann dies auch zu Protokoll der Geschäftsstelle erfolgen.
b. Angabe von Streitverkündungsgrund und Lage des Rechtsstreits
Die Erklärung muss die Gründe der Streitverkündung beinhalten: Es ist das Rechtsverhältnis anzugeben, aus dem sich der Regressanspruch gegen den Dritten oder dessen Anspruch gegen den Streitverkündungsempfänger ergeben soll, vgl. § 72 ZPO.
Zudem ist die Lage des Vorprozesses mit Entscheidungen, Beweisergebnissen, ergriffenen Rechtsbehelfen etc. anzugeben, um dem Streitverkündungsempfänger eine möglichst genaue Prüfung zu ermöglichen, ob es für ihn sinnvoll ist, dem Rechtsstreit beizutreten oder nicht, vgl. ThP § 73 Rn. 3 ff.
E. Zeitpunkt
Um beurteilen zu können, bis wann eine Streitverkündung zeitlich zulässig ist, ist auf die Nebeninterventionswirkung des § 68 ZPO abzustellen: Eine Streitverkündung ist daher in der Regel dann verspätet, wenn sie in einer nicht reversiblen Sache nach Schluss der mündlichen Verhandlung geschieht, vgl. ZhP § 73 Rn. 6.
Jura-Individuell-Hinweis: Beachte im Zusammenhang mit diesen Formvorschriften stets § 295 ZPO, wonach Mängel geheilt werden können (hM). Nach Ansicht des BGH soll dies zumindest dann möglich sein, wenn es sich um unvollständige Angabe der Gründe oder um fehlerhafte Angaben bzgl. der Lage des Rechtsstreits handelt, vgl. ThP § 73 Rn. 7.
F. Zustellung
Gem. § 73 S. 2 ZPO ist die Streitverkündung dem Dritten zuzustellen und dem Gegner des Streitverkündungsempfängers in Abschrift zuzustellen. Die Zustellung erfolgt von Amts wegen nach §§ 166 ff. ZPO und ist gem. § 71 S. 3 ZPO Voraussetzung für die Wirksamkeit der Streitverkündung.
III. Wirkung und Rechtsfolgen
A. Die Wirkung im Allgemeinen
Die Zustellung der Streitverkündung bewirkt materiell-rechtlich die Hemmung der Verjährung, vgl. § 204 I Nr. 6 BGB, dies gilt auch im selbständigen Beweisverfahren, vgl. § 204 I Nr. 7 BGB. Ebenso bleiben die Ansprüche wegen nicht vertragsgemäßer Leistung erhalten, vgl. § 218 I BGB.
Die prozessrechtliche Wirkung der Streitverkündung besteht in der Nebeninterventionswirkung des § 68 ZPO, vgl. § 74 I, III ZPO: Der Streitverkündungsempfänger wird im Folgeprozess im Verhältnis zu dem Streitverkünder mit der Behauptung nicht gehört, dass der Vorprozess, wie er dem Richter vorgelegen habe, unrichtig entschieden sei. Das bedeutet, dass im Folgeprozess zu Gunsten des Streitverkünders eine Bindung an das Ergebnis des Vorprozesses eintritt.
Diese Bindungswirkung tritt nach der hM allerdings niemals zu Ungunsten des Streitverkünders ein, vgl. ThP § 73 Rn. 4, BGH 100, 257.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Wirkung ist nicht der Zeitpunkt des Beitritts, sondern vielmehr der Zeitpunkt, zu dem der Beitritt infolge der Streitverkündung möglich war. Dieser liegt in der Regel eine angemessene, kurze Zeit nach Kenntnis und Zustellung der Streitverkündung vor, vgl. ThP § 73 Rn. 4.
B. Auswirkung für den Streitverkündungsempfänger
Wie sich eine Streitverkündung auf den Streiterklärungsempfänger auswirkt, beurteilt sich danach, ob der Streitverkündungsempfänger dem Rechtsstreit beitritt oder nicht.
a. Beitritt
Entschließt sich der Streitverkündungsempfänger dem Vorprozess beizutreten, so wird er zum Nebenintervenient nach §§ 66 ff. ZPO.
Nach § 67 ZPO kann er aufgrund seines Beitritts Prozesshandlungen und Rechtsbehelfe vornehmen, die der unterstützen Partei dann zugerechnet werden. Selber wird er allerdings nicht Partei, vgl. ThP § 66 Rn. 1.
b. Kein Beitritt
Tritt der Streitverkündungsempfänger dem Rechtsstreit nicht bei, so entfaltet die Streitverkündung jedoch, wie oben bereits erläutert, wegen § 74 III ZPO gegenüber dem Streitverkünder im Nachfolgeprozess die Nebeninterventionswirkung nach § 68 ZPO, vgl. ThP § 75 Rn. 2. Tritt er dem Gegner bei, so tritt die Wirkung der Nebenintervention gegenüber beiden Parteien ein, vgl. ThP § 74 Rn. 1.
c. Kosten
Die Kosten einer Streitverkündung gehören nach der ganz h.M. nicht zu denen des anhängigen Rechtsstreits und treffen grundsätzlich den Streitverkünder, da sie seiner Rechtsverfolgung gegen den Streitverkündungsempfänger dienen, vgl. ThP § 74 Rn. 8.
Bezüglich der Kosten des Streitverkündungsempfängers ist § 101 I Alt. 2 ZPO heranzuziehen: Danach dürfen diese Kosten in der Kostenentscheidung nie der unterstützten Partei auferlegt werden, vielmehr sind sie nur dem Gegner der unterstützen Partei oder dem Streithelfer selbst aufzuerlegen, vgl. ThP § 101 Rn. 1. Zudem muss eine ausdrückliche Entscheidung über die Kosten der Streithilfe ergehen, da diese gerade nicht vom Begriff „Kosten des Rechtsstreits“ erfasst werden, vgl. ThP § 101 Rn. 3. Ein Formulierungsbeispiel hierzu findet sich ebenfalls im Kommentar, vgl. ebenfalls ThP § 101 Rn. 3. Schließen die Parteien einen Vergleich und es kommt deshalb zu einer Kostenaufhebung, so steht dem Streithelfer gegen den Gegner der unterstützen Partei kein Kostenerstattungsanspruch zu, vgl. ThP § 101 Rn. 4. Vielmehr hat er seine Kosten dann selbst zu tragen.
IV. Beispielfall
Sachverhalt: V betreibt über eine Internetplattform einen Großhandel für Computer und Computer-Zubehör, er bietet dort auch PC-Bildschirme zum Verkauf an. Zur Beschreibung seiner Produkte verwendet er unter anderem eingescannte Informationen aus den jeweiligen Herstellerprospekten und verweist für weitere Informationen mit einem Link zur entsprechenden Homepage der Hersteller. K kauft dort im März 2015 auf Rechnung einen PC-Bildschirm. Als er den Bildschirm anschließt, bemerkt er, dass die Auflösung des Bildschirms nicht der entspricht, die im eingescannten Herstellerprospekt angegeben war: Sie ist wesentlich geringer und das Bild dadurch unscharf. Dies beruht auf einem Konstruktionsfehler seitens des Herstellers. Der Bildschirm erweist sich aus diesem Grund als für ihn unbrauchbar, er wendet sich an V und verlangt Rücknahme des Geräts. Zudem verweigert er die Zahlung des Kaufpreises.
V lehnt die Rücknahme des Bildschirms ab und erhebt gegen K Zahlungsklage. Zur Begründung führt er an, dass auf der verlinkten Homepage des Herstellers des Bildschirm bereits seit Dezember 2014, also vor dem Kauf des Bildschirms durch K, neue Informationen zur Bildschirmauflösung eingestellt waren, in denen die irrtümlicherweise falsch im Herstellerprospekt angegebenen Informationen richtig gestellt worden sind. Der Hersteller H-GmbH hat jedoch keine neuen, mit richtigen Angaben versehenen Prospekte herausgegeben.
Im Vorfeld zeichnet sich jedoch bereits ab, dass das Gericht den Bildschirm aufgrund der geringeren Auflösung als mangelhaft betrachten und V mit seiner Zahlungsklage gegen K wenig Erfolg haben wird.
V möchte nun vorsorglich erreichen, dass für den Fall des Prozessausgangs zu seinem Nachteil, die Mangelhaftigkeit des Bildschirms für einen möglichen Nachfolgeprozess gegen die H-GmbH bindend festgestellt wird.
Was wird der Rechtsanwalt des V raten?
Lösung: V kann die gewünschte Bindungswirkung für einen Nachfolgeprozess gegen die H-GmbH durch eine Streitverkündung gem. § 72 I ZPO erreichen:
Grundsätzlich hat ein Urteil nur „inter-partes“-Wirkung, das heißt für den konkreten Fall, dass die Feststellungen aus dem Verfahren V ./. K auch nur zwischen diesen beiden Parteien bindend sind. Wendet sich V nun wegen möglicher Regressansprüche gegen die H-GmbH, so besteht die Möglichkeit, dass die Mangelhaftigkeit des Bildschirms in einem Verfahren V./. H-GmbH unterschiedlich (d.h. anders als im Vorprozess V ./. K) beurteilt wird.
Es kann daher für den V sinnvoll sein, das Gericht an bestimmte tatsächliche und rechtliche Feststellungen zu binden, damit diese im späteren Verfahren feststehen (Interventionswirkung gem. § 68 ZPO).
Auf der anderen Seite muss jedoch der H-GmbH die Möglichkeit eingeräumt werden, an dem Vorprozess V ./. K mitzuwirken. Damit soll verhindert werden, dass die H-GmbH im Nachfolgeprozess V ./. H-GmbH durch die Interventionswirkung einen Nachteil erleidet.
Die Streitverkündung nach §§ 72 ff. ZPO wird dieser Interessenlage gerecht: Durch sie wird die H-GmbH (sog. „Streitverkündungempfänger“) über das anhängige Verfahren V ./. K durch V (sog. „Streitverkünder“) benachrichtigt und hat somit ein Wahlrecht, diesem Rechtsstreit beizutreten oder nicht.
Rechtsfolge: Die Streitverkündung selbst hat (im Gegensatz zur Nebenintervention) im Vorprozess keine weiteren Wirkungen. Die H-GmbH wird allein durch die Streitverkündung nicht Prozessbeteiligte, vielmehr wird das Verfahren ohne Rücksicht auf sie ganz normal fortgesetzt.
Tritt die H-GmbH jedoch dem Verfahren als Streithelfer bei, so wird sie Prozessbeteiligte und erhält dadurch die Möglichkeit Prozesshandlungen vorzunehmen und Rechtsmittel einzulegen. Die Stellung der H-GmbH entspricht dann der eines Nebeninterventen, vgl. § 67 ZPO: Die Prozesshandlungen und Rechtsbehelfe des Streithelfers werden der Hauptpartei (hier dem V) zugerechnet.
Die Streitverkündung ist dabei von besonderer prozessualer Bedeutung für den Folgeprozess. Nach § 74 III ZPO gilt auch dann, wenn kein Beitritt als Nebenintervenient erfolgt, für die Streitverkündung die Wirkung der Nebenintervention i.S.v. § 68 ZPO: Im Folgeprozess tritt zu Gunsten des Streitverkünders eine Bindung an das Ergebnis des Vorprozesses ein!
Wird also im Verfahren V ./. K festgestellt, dass der PC-Bildschirm aufgrund der zu geringen Auflösung mangelhaft ist, so ist das Gericht aufgrund der Streitverkündung in einem nachfolgenden Prozess des V gegen die H-GmbH wegen möglicher Regressansprüche an diese Entscheidung gebunden!
Jura-Individuell-Hinweis: In Klausuren kann es durchaus möglich sein, dass der Aufgabensteller von den Prüflingen erwartet, es zu erkennen, dass quasi zur „Absicherung“ in einem eventuellen Folgeprozesses eine Streitverkündung an den Dritten sinnvoll erscheint, um die Nebeninterventionswirkung herbeizuführen. In Referendarklausuren kann die Streitverkündung beispielsweise durch eine Zusatzfrage, in Assessorklausuren in einer Anwaltsklausur oder bei erfolgtem Beitritt des Dritten als Streithelfer im Rahmen eines Urteils abgefragt werden.
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